Headline: Eine gesunde Arktis: Probleme und Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Wohlergehen von Mensch und Umwelt

Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, an der letzten Arctic Summit Science Week in Fairbanks, Alaska, teilzunehmen. Aufbauend auf den Ergebnissen der Konferenz vor einem Jahr in Toyama, Japan, (siehe meinen früheren Post) bemüht sich die Wissenschaftscommunity zunehmend, Synergien zwischen Sozial- und Naturwissenschaften zu nutzen, um die Probleme des arktischen Wandels anzupacken. Wie viele von Ihnen wissen, ist die Arktis durch den Klimawandel besonders gefährdet und seine Auswirkungen betreffen in mehrfacher Hinsicht Dimensionen der biologischen, physikalischen und menschlichen Systeme, die inner- und außerhalb der Arktis interagieren. Forschung und Maßnahmen bezüglich der Klimawandelfolgen haben sich bis vor kurzem weitgehend auf deren klimatische, wirtschaftliche und politische Dimensionen konzentriert, und zwar im Kontext der voranschreitenden Expansion von Bergbau-, Energie- und Verkehrsaktivitäten im nördlichen Polarkreis. Allerdings setzt sich eine wachsende Bewegung dafür ein, auch andere Forschungsgebiete einzubeziehen, die für die Folgen des Wandels in der Arktis relevant sind; ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Kommunen.

Schneelandschaft in Fairbanks, Alaska © Carolina Cavazos Guerra
Schneelandschaft in Fairbanks, Alaska © Carolina Cavazos Guerra

Ich bin selbst keine Sozialwissenschaftlerin, arbeite aber in einem interdisziplinären Umfeld und besuche immer gern Side Events, deren Themen über den Bereich meiner Forschung zu den physikalischen Aspekten der arktischen Atmosphäre hinausgehen. Diesmal führte mich die Neugier in den Workshop für Akteure zum Forschungsbedarf für Gesundheit und Wohlergehen in der Arktis (Stakeholder Workshop on Research Needs for Arctic Health and Wellness); Veranstalter des Workshops waren das Arctic Monitoring and Assessing Program (AMAP) und das EU-PolarNet-Programm, das den derzeitigen Stand der Forschung zu Gesundheit und Wohlergehen in der Arktis geprüft hat. Zu den Highlights des Workshops gehörten hochinteressante Ausführungen zu den Perspektiven und Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Gesundheit im nördlichen Polarkreis von Ashlee Cunsolo-Willox von der Cape Breton University. Ihre packende Präsentation rief ins Gedächtnis, dass der Klimawandel die größte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit im 21. Jahrhundert darstellt und die Kommunen im nördlichen Polarkreis leider durch seine Auswirkungen besonders gefährdet sind. Umwelt- und Klimawandel in der Arktis gefährden die menschliche Gesundheit, denn er führt zu vermehrten Erkrankungen und höherer Sterblichkeit bedingt durch Extremwetterereignisse (Stürme, Überschwemmungen, vermehrte Hitze- und Kältewellen) sowie erhöhte Verletzungsgefahr und Sterblichkeit in Verbindung mit unberechenbaren Eis- und Unwetterbedingungen sowie zu indirekten Folgen im Zusammenhang mit hohem seelischen und sozialen Stress wegen Umweltveränderungen und Verlust des traditionellen Lebensstils.[1]  Weitere Risikofaktoren sind potenzielle Auswirkungen auf bakterielle und Viruserkrankungen sowie auf den Zugang zu hochwertigen Wasserquellen. Diese Aspekte wurden in der öffentlichen Debatte um den Klimawandel weitgehend vernachlässigt, an der sich Medizin und Psychologie bisher kaum beteiligt haben, obwohl diese Bereiche für das optimale Funktionieren von Gesellschaften und Ökosystemen eine wichtige Rolle spielen.

Große Sorge bereiten auch die psychische Gesundheit der Bevölkerung und die Suizidraten in den arktischen Kommunen. Faktoren wie Einsamkeit, kultureller Wandel, der Verlust von Land- und Ressourcenbesitz und die mangelnde Verbindung zwischen Einzelnen, Familien und Umwelt sind Stressfaktoren, die sich der Kontrolle des Individuums entziehen. Ein weiterer interessanter Beitrag zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung in arktischen Regionen beschäftigte sich mit kommunaler Intervention zur Selbstmordprävention. Fassungslos habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Suizidraten unter Jugendlichen in arktischen Kommunen um 37 Prozent höher liegen als im Rest der Welt. Die acht Arktisstaaten (Kanada, Dänemark [einschließlich Grönlands und der Färöer-Inseln], Finnland, Island, Norwegen, Russland, Schweden und die USA) nehmen in globalen Suizidstatistiken vordere Ränge ein; Grönland hat mit 83 Suiziden pro 100.000 Einwohner die höchste Selbstmordrate der Welt. Indigene Männer aus Alaska weisen die höchste Suizidrate in den Vereinigten Staaten auf, wo Initiativen wie RISING SUN daran arbeiten, die Selbstmordraten bei der indigenen Bevölkerung zu senken. Die Lebenserwartung in arktischen Kommunen ist insgesamt geringer; die Suizidraten werden auch durch Alkohol- und Drogenmissbrauch in die Höhe getrieben. Das Problem ist epidemiologisch, und mehrere Studien bringen das Phänomen in arktischen Kommunen mit Alkoholismus, Depression, Armut, zerrütteten Familienverhältnisse und psychischen Erkrankungen in Zusammenhang, die aus historischen und generationsübergreifenden Traumata resultieren. All diese Faktoren verschärfen sich durch Klimawandelfolgen und die fortschreitende Erschließung der arktischen Regionen.

Natürlich umfassen die verschiedenen Faktoren, die die menschliche Gesundheit und das Wohlergehen beeinträchtigen, psychische ebenso wie physische Komponenten. Dass der Klimawandel andere Spezies in der Arktis schädigt, hat wiederum Folgen für die Gesundheit der Menschen. Wildtiere, darunter Fische, Vögel und Säugetiere, leiden direkt und indirekt durch Treibhausgasemissionen, kurzlebige Klimaschadstoffe und andere Verunreinigungen in Luft und Wasser (z.B. Schwermetalle wie Quecksilber), die verschiedene Spezies entlang der Nahrungskette gefährden. Pál Weihe vom Faroese Hospital System betonte, dass in der Arktis tätige Epidemiologen das Problem an der Wurzel packen müssen, denn die Forschung hat gezeigt, dass freigesetzte persistente organische Schadstoffe (POPs) über Böden, Pflanzen, Fisch und Wildtiere in die Nahrungskette gelangen; dies hat nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit in arktischen Kommunen und führt unter anderem zu einem vermehrten Auftreten von Typ-2-Diabetes bei der indigenen Bevölkerung in der Arktis.

In einem weiteren Vortrag stellte Jim Berner vom Alaska Native Tribal Health Consortium eine Initiative vor, die darauf abzielt, die Gesundheit von Tieren, Umwelt und Menschen in der Arktis zu stärken, und sich zu diesem Zweck mit der größten Sorge der arktischen Kommunen beschäftigt, nämlich der sicheren Versorgung mit Nahrung und Wasser. Initiativen wie RAMP (Rural Alaska Monitoring Program) beteiligen die Kommunen an der Überwachung von Umwelt- und Klimaveränderungen, ein Vorgehen, das dazu beiträgt, Ängste zu lindern, und Vertrauen zwischen den Kommunen und den Forschern aufbaut. In diesem Programm erhalten Kommunen die nötigen Informationen und Schulungen, um drohende Gefahren zu erkennen, und werden zur Mitarbeit in einem Gesundheitsnetzwerk eingeladen. Die von der Initiative gesammelten Informationen werden mit ozeanografischen und Klimadaten zusammengeführt, was den Forschern ermöglicht, Klimawandelfolgen für die menschliche Gesundheit anhand qualitativer ebenso wie quantitativer Daten nachzuweisen, die durch Zusammenarbeit gewonnen wurden.

Alaska-Ureinwohnerpuppen, Rose Berry Alaska Art Gallery im Museum of the North, Fairbanks, Alaska. © Carolina Cavazos Guerra
Alaska-Ureinwohnerpuppen, Rose Berry Alaska Art Gallery im Museum of the North, Fairbanks, Alaska. © Carolina Cavazos Guerra

Die WHO definiert Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheiten oder Gebrechen“. Die Konferenz zeigte, dass Wissenschaftler an einer neuen Forschungsagenda arbeiten, die diese ganzheitliche Sicht reflektiert. Dabei geht es auch darum, indigenen Forschern zu ermöglichen, dass sie gemäß ihren Bedürfnissen arbeiten. Forscher, die sich mit der Gesundheit der Menschen in der Arktis beschäftigen, sollten Partnerschaften mit den Kommunen eingehen, um sich in lokale Systeme zu integrieren. Auch sollten sie sich mit anderen Forschern aus den Sozial- und Naturwissenschaften zusammentun, um auf diesem Weg Ressourcen, Erkenntnisse und Instrumente zu teilen. Wenn man Lösungen finden will, die auf die für die Region spezifischen Bedürfnisse und Probleme eingehen, müssen Forscher mit einer interdisziplinären Perspektive ausgebildet werden, die das Bewusstsein für die Verbindungen zwischen verschiedenen Wissensgebieten und Akteuren schärft.

Gesundheit und Wohlergehen sind ganzheitlich und umfassen Dimensionen des ökologischen, kulturellen, sozialen, seelischen, körperlichen und spirituellen Wohlergehens auf individueller und kollektiver Ebene. Selbstachtung und Rücksicht auf unsere Umgebung sind die Grundlagen des Wohlergehens. Damit Kommunen in der Arktis (und in der restlichen Welt) gesund bleiben, sind ganzheitlichere, integrierte Maßnahmen in Politik, Forschung und Praxis erforderlich. Wie es in der Abschlusserklärung der Konferenz heißt, muss, um dem Wandel in der Arktis erfolgreich zu begegnen, eine Zusammenarbeit über kulturelle, fachliche und politische Grenzen hinweg stattfinden. Insbesondere ist der Aufbau eines panarktischen, systemübergreifenden Mehrzweck-Überwachungssystems erforderlich, das sowohl lokale wie globale Bedürfnisse berücksichtigt und einbezieht und die besten Ansätze aus indigenem Wissen und moderner Wissenschaft vereint.

[1] Parkinson AJ, Berner J. Climate change and impacts on human health in the Arctic: an international workshop on emerging threats and the responses of arctic communities to climate change. Int J Circumpolar Health. 2009;68:88–95. [PubMed]

Foto oben: © Karsten Häcker

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