Headline: Beleuchten, bewerten, Brücken bauen: die Rolle der Nachhaltigkeitsforschung im digitalen Wandel

In den vergangenen Monaten wurde ein Thema  wieder sehr prominent in das öffentliche Bewusstsein gerückt: die Digitalisierung. Seit Jahresbeginn haben sich bereits mehrere Kommentatoren zu Fragen des digitalen Wandels geäußert: In einem Interview für die Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung verweist Armin Grunwald unter anderem auf die Verwundbarkeit von Gesellschaften, die sich in kritischen Bereichen wie etwa der Energieversorgung von einer digitalen Infrastruktur allzu abhängig machen. In der ZEIT debattieren Carl Benedikt Frey und Hartmut Hirsch-Kreinsen die Folgen der Digitalisierung für Arbeitswelt und Gesellschaft und plädiert Tilman Santarius für eine „sanfte Digitalisierung“, in der man erst nachdenkt und dann digitalisiert. Und Stefan Brandt stellt im Blog des Futuriums die Frage: „Wollen wir passive Erdulder*innen oder aktive Gestalter*innen des sich abzeichnenden [digitalen] Strukturwandels sein?“

Dies ist nur eine kleine Auswahl der Stimmen, die sich in puncto Digitalisierung zu Wort gemeldet haben, doch aus all diesen Beiträgen wird klar: Digitalisierung ist eine Gestaltungsaufgabe, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen darin fordern wird, neue Rahmenbedingungen für ein sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltiges Zusammenleben unter dem Vorzeichen einer globalisierten, digitalisierten Welt zu schaffen.

Die Rolle der Nachhaltigkeitsforschung in diesem Gestaltungsprozess wird dabei bisher kaum thematisiert, wenngleich das Thema Digitalisierung in diesem Forschungsfeld seit einigen Jahren vermehrt an Aufmerksamkeit gewinnt. Im November trafen sich daher Vertreterinnen und Vertreter von Stiftungen und Wissenschaftsorganisationen am IASS, um der Frage nachzugehen, welchen Beitrag Wissenschaft allgemein und Nachhaltigkeitsforschung im Besonderen für eine nachhaltige Gestaltung der digitalen Transformation leisten kann. Fünf Thesen waren das Ergebnis ihres Austauschs, nachzulesen in dem soeben veröffentlichten Workshop-Bericht. Sie möchte ich hier kurz vorstellen und mit einigen Beispielen hinterlegen:

These 1: Nachhaltigkeitsforschung sollte als kritische Betrachterin des digitalen Wandels fungieren, die mit ihrem systemischen Verständnis dabei helfen kann, die drängenden Fragestellungen zu identifizieren, mit denen sich Politik und Gesellschaft auseinandersetzen sollten. So hat jüngst der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) eine Liste von Themen an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit vorgeschlagen, „über die wir jetzt reden müssen“. Denkanstöße geben ohne dabei in Angstdiskussionen zu verfallen, das sollte das Ziel der Nachhaltigkeitsforschung sein.

These 2: Nachhaltigkeitsforschung sollte jedoch nicht nur auf drängende Fragen hinweisen, sondern auch aktiv eine Diskussion über das Leitbild einer „nachhaltigen Digitalisierung“ anstoßen und sich darin einbringen. Ein Beispiel dafür ist André Reichels Plädoyer für Nachhaltigkeit als normativer Rahmen der Digitalisierung. Eine solche Leitbilddebatte schließt außerdem ein, neben dem „Machbaren“ und dem „Nützlichen“ auch das „Wünschenswerte“ zu betrachten (oder wie Raven Musialik auf der Webseite von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit schreibt: „Keine Utopie ist auch keine Lösung“).

These 3: Weiterhin kommt der Nachhaltigkeitsforschung natürlich die Rolle zu, fundiertes Wissen über Funktions- und Wirkungsweisen digitaler Technologien bereitzustellen, aber auch die Machtstrukturen und Interessen zentraler Akteure der digitalen Transformation zu beleuchten. Im Zusammenhang mit komplexen Problemlagen, bspw. in den Bereichen Energie, Verkehr und Konsum, sollte sie digitale Lösungsvorschläge und Ansätze in Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit untersuchen, wie es sich bspw. die Nachwuchsgruppe des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Technischen Universität Berlin vorgenommen hat. Felix Sühlmann-Faul und Stephan Rammler arbeiten zudem aktuell an einer vom World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland und der Robert Bosch Stiftung geförderten Studie, die Nachhaltigkeitsdefizite der Digitalisierung auf verschiedenen Ebenen aufzeigt und Beispiele nennt, wie Digitalisierung zum Werkzeug für mehr Nachhaltigkeit werden könnte.

These 4: Zudem ist die Nachhaltigkeitsforschung als Brückenbauerin gefordert. In der Debatte um Digitalisierung, so stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops fest, gibt es eine Vielzahl an Wissensinseln, von denen die Nachhaltigkeitsforschung selbst eine ist, ein weiteres Beispiel wäre die „Insel“ der Technologieentwickler. Diese verschiedenen Gruppen haben bisher oftmals wenig Kontakt zueinander und pflegen sehr unterschiedliche Vorstellungen von Nachhaltigkeit. Sie könnte ein Austausch über das Leitbild einer nachhaltigen Digitalisierung zusammenführen und damit dazu beitragen, integrierte, sozial, ökologisch und wirtschaftlich sinnvolle, digitale Lösungen zu entwickeln.

These 5: Schließlich braucht es eine kritische Hinterfragung oft unausgesprochener Grundannahmen und eine Neubeschäftigung mit bestehenden Begrifflichkeiten vor dem Hintergrund des digitalen Wandels. Für die Nachhaltigkeitsforschung heißt das zum Beispiel zu ergründen, wie bestehende Konzepte von Nachhaltigkeit mit Vorstellungen von Transhumanismus und digitalem Human Enhancement (also der Erweiterung und/oder Verbesserung menschlicher Fähigkeiten mittels digitaler Technologien) in Beziehung stehen.

Diese Thesen erheben keinen Anspruch darauf, die Bedeutung und Rolle der Nachhaltigkeitsforschung im digitalen Wandel allumfassend zu beschreiben. Vielmehr sind sie als Diskussionsgrundlage gedacht, als Gedankenanstöße für einen Austausch innerhalb der Nachhaltigkeitsforschung – aber auch darüber hinaus – über die Art und Weise, mögliche Inhalte, Herausforderungen und Chancen einer kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation. In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diskutieren!

Foto oben (Montage): istock/Momolelouch; istock/Main_sail

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