Headline: Bundesländer machen Bürgerbeteiligung bei Wind verpflichtend - Teil 1

Am 20.04.2016 hat das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern das sogenannte „Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz“ zur Steigerung der Akzeptanz und lokalen Wertschöpfung bei neuen Windenergieanlagen verabschiedet. Auch Thüringen will mit seinen freiwilligen Leitlinien für „Faire Windenergie“ die wirtschaftliche Beteiligung der Bürger und Kommunen an Windenergieanlagen steigern. In seinem Beitrag erläutert Boris Gotchev, welche neuen Wege die beiden Bundesländer bei der wirtschaftlichen Beteiligung von Bürgern und Gemeinden beschreiten und berichtet aus seiner laufenden Forschungsarbeit dazu.

Mecklenburg-Vorpommern ist ein Vorreiter der Energiewende. Bereits heute deckt das Bundesland rechnerisch 130% seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien (den Großteil davon aus Windenergie) und rangiert im Ländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien auf Platz drei. Und nun betritt das Bundesland in Bezug auf Bürgerbeteiligung bei neuen Windenergieanlagen zudem absolutes Neuland: Der Landtag in Schwerin hat nach dreijähriger Vorbereitung das sogenannte „Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz“ verabschiedet. Ziel des Gesetzes ist es, die Akzeptanz für neue Windenergieanlagen zu erhöhen und die Wertschöpfung vor Ort zu steigern, indem Anwohnern und Nachbargemeinden eine wirtschaftliche Beteiligung ermöglicht wird. Dazu werden Investoren zukünftig verpflichtet, eine Projektgesellschaft für jedes neue Windenergieprojekt zu gründen und Bürgern und Gemeinden in einem Fünf-Kilometer-Umkreis um neue Anlagen jeweils zehn Prozent der Anteile an der Gesellschaft zum Kauf anzubieten. Ein Anteil darf maximal 500 Euro kosten, damit die finanziellen Einstiegshürden niedrig gehalten werden.

Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz - Weg B

Alternativ können Investoren im Rahmen des Gesetzes entscheiden, den sogenannten Weg B zu gehen und den Bürgern ein Sparprodukt anzubieten. Kaufberechtigte Bürger im 5-Kilometer-Umkreis haben dann die Möglichkeit,  eine entsprechende Festgeldanlage zu zeichnen. Der Zinssatz orientiert sich an den Gewinnen. Bürger werden so indirekt am Gewinn der Anlagen beteiligt, ohne dass sie ein Risiko tragen, ihre Einlagen zu verlieren. Den Gemeinden kann alternativ eine Ausgleichsabgabe – eine jährliche Zahlung aus den Erlösen des Windparks - angeboten werden. Die Gemeinden dürfen selbst entscheiden, die Abgabe anzunehmen anstatt Gesellschaftsanteile zu erwerben, während bei dem Sparprodukt für die Bürger der Investor entscheidet. Lokal erarbeitete Lösungen, die davon abweichen, sollen unter dem Motto „Freiwilligkeit sticht Pflicht“ jedoch auch möglich bleiben. Damit sind vor allem vergünstigte Stromtarife gemeint, letztlich müssen aber Bürger und Gemeinden jeder freiwilligen Lösung zustimmen.

Die Motivation zu dem Gesetz liegt in der Auffassung der Landesregierung, dass landeseigene Ziele -  Verdopplung der installierten Windkraftleistung an Land von derzeit knapp 3.000 MW auf 6.000 MW bis 2025 - angesichts steigender Widerstände gegen neue Projekte vor Ort nur mit erhöhter Akzeptanz zu erreichen seien. Die niedrigen Zustimmungswerte in der Bevölkerung werden auf die geringe Wertschöpfung von Windenergieanlagen vor Ort zurückgeführt, da Einnahmen aus Pacht aufgrund der Flächenbesitzverhältnisse abfließen und die Betreibergesellschaft im Regelfall nicht in der Standortgemeinde ansässig ist. Bürgerwindparks, bei denen häufig ein Maximum der Wertschöpfung aus dem Betrieb vor Ort verbleibt, sind u.a. aufgrund niedrigerer Vermögens- und Einkommensverhältnisse im Bundesvergleich und eines geringen Anteils von Flächen im Besitz der Bürger und Gemeinden vor Ort kaum entstanden. Die wirtschaftspolitische Bedeutung der Windkraft ist hoch, da Mecklenburg-Vorpommern den bundesweit zweithöchsten Durchschnitt an Beschäftigen im Erneuerbaren-Sektor aufweist. Die Landesregierung glaubt nicht daran, dass zukünftig unter den bestehenden Bedingungen freiwillige Beteiligungsmodelle entstehen werden. Daher hat sie sich entschieden, freiwillige, zuletzt auch von der Branche geforderte Modelle nicht zu verfolgen, sondern stattdessen Investoren gesetzlich in die Pflicht zu nehmen. Aus dem Ausnahmefall der Beteiligung soll im gesetzlichen Rahmen der Regelfall werden, um dadurch zu mehr Wertschöpfung und Akzeptanz beizutragen.

Mecklenburg-Vorpommern betritt Neuland, ist aber nicht allein – Thüringen hat Leitlinien für „Faire Windenergie“

Mit dem Gesetz beschreitet Mecklenburg-Vorpommern einen gänzlichen unbekannten Weg in Deutschland. Vorbild dafür ist Dänemark, wo bereits seit 2009 das europaweit beispiellose Beteiligungsgesetz in dieser Form existiert. Mecklenburg-Vorpommern ist jedoch nicht das einzige Bundesland, welches der Beteiligung von Bürgern und Gemeinden an Windenergieanlagen einen landesweit geltenden Handlungsrahmen setzt.

Auch in Thüringen wurde vor kurzem ein vergleichbarer Schritt unternommen. Dort hat die Thüringer Energieagentur (ThEGA) 2015 eine Servicestelle Windenergie eingerichtet. Unter dem Motto „faire Partner“ für Windenergie zertifiziert diese seit Jahresbeginn Windprojektierungsunternehmen, die sich freiwillig verpflichten, Leitlinien einzuhalten. Zu den insgesamt fünf Leitlinien gehört z.B. die „Entwicklung einer direkten finanziellen Beteiligungsmöglichkeit für Thüringer Bürger, Unternehmen und Kommunen“. Welche Möglichkeiten das im konkreten Fall betrifft, wird zwischen der ThEGA und dem Unternehmen vertraglich festgelegt. Es kann sich dabei um eine Beteiligung in Form von Gesellschaftsanteilen, Sparbriefen oder Genussrechten handeln. Vorgegeben ist nur, dass eine „direkte“ Beteiligung angeboten wird. Dabei sind die Vorgaben nicht wie in Mecklenburg-Vorpommern an ein bestimmtes Projekt gebunden, sondern das Siegel wird dem Investor für jeweils ein Jahr verliehen. Damit soll v.a. Flächenbesitzern und Gemeinden ermöglicht werden, „faire Partner“ auszuwählen, die sich an einen bestimmten Verhaltenskodex halten. Bis heute wurden 90 Projektierungsunternehmen über das Siegel informiert, mehr als 30 haben sich darauf beworben bzw. Interesse bekundet, und 14 Unternehmen wurden bereits zertifiziert. Darunter befinden sich auch zwei Bürgerenergiegenossenschaften. Davon gibt es in Thüringen knapp 37 vornehmlich im Solarbereich, während es in Mecklenburg-Vorpommern etwa halb so viele im Solar- und Biogasbereich sind.

Das Bürgerbeteiligungsgesetz und die Leitlinien „Faire Windenergie Thüringen“ im Vergleich

Im Vergleich zeigt sich, dass die Motivation und Zielsetzung der beiden Ansätze – Akzeptanz und Wertschöpfung – nahezu identisch sind. Auch in Thüringen hat die Landesregierung festgestellt, dass Wertschöpfung abfließt, da fast 90% aller Windprojekte von Investoren mit Sitz außerhalb der Landesgrenzen umgesetzt werden. Trotzdem beschreiten beide Länder unterschiedliche Wege, um dorthin zu gelangen. Erklärt werden kann dies u.a. auch dadurch, dass der Thüringer Ansatz ähnlich wie das Beteiligungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern einem weiteren Vorbild nachempfunden ist: Nach einem Besuch der ThEGA im Landkreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen ließ man sich von den dortigen Leitlinien für Bürgerwindparks inspirieren. Diese beinhalten u.a. anderen den Leitsatz, dass Bürger vor Ort mindestens 25% des Eigenkapitals eines Windparks halten.

Ausgewählte Fragen aus Sicht der Forschung

Für die sozialwissenschaftliche Forschung und Entscheidungsträger stellen sich zwei Fragen: Welche gesellschaftlichen Auswirkungen und Ergebnisse haben diese neuen Ansätze in der Praxis? Und werden weitere Bundesländer mit ähnlichen Maßnahmen bald nachziehen? Bezüglich der ersten Frage deuten bereits vor der nun beginnenden Umsetzung für das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern die Erfahrungen aus Dänemark darauf hin, dass Akzeptanz keine selbstverständliche Folge aus dem Ansatz sein muss. Dort wurden nur in der Hälfte der Fälle mehr als 50% der Anteile verkauft und es kam nach wie vor zu Widerstandgegen Projekte. Zudem wird argumentiert, dass Mitwirkung mit dem Gesetz nicht ermöglicht wird, obwohl sie ein zentrales und akzeptanzförderliches Element von Bürgerbeteiligung ist. Die Antwort wird bestenfalls mit einer genauen Beobachtung und wissenschaftlichen Reflektion der Umsetzungsergebnisse erfolgen. In seiner Beschlussempfehlung an den Landtag vom 06.04.2016 fordert der Energieausschuss die Evaluation des Gesetzes nach drei Jahren und das Ministerium hat bereits eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Projektierer, Städte und Kommunen sowie Banken und Finanzierern zur Begleitung der Umsetzung eingerichtet.

Weiterhin spannend bleibt auch die Umsetzung in Thüringen. Seit es im Vorbild Steinfurt die Leitlinien gibt, werden neue Windparks ausschließlich als Bürgervorhaben umgesetzt – freiwillig. Die dortigen Leitlinien sind jedoch teilweise enger gefasst (z.B. fordern die Thüringer keinen Mindestanteil von 25% des Eigenkapitals in Händen der Bürger) und Anzahl der Adressaten im Landkreis ist deutlich kleiner als in einem Bundesland. Auch hier ist eine genaue Beobachtung der Umsetzungsergebnisse ratsam.

Mit Blick auf die zweite Frage kann man vermuten, dass die zuständigen Fachabteilungen der Bundesländer, welche vor ähnlichen Herausforderungen stehen oder bald stehen könnten, der Umsetzung sehr genau folgen. So hat der SPD-Landesvorstand Brandenburg - mit mehr als fünf GW das Windenergieland Nummer 2 nach installierter Leistung - bereits im Sommer 2015 beschlossen, dem Beispiel eines Beteiligungsgesetzes zu folgen. Gleichzeitig verdeutlichen die landesgetriebenen Initiativen aus Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, welche Bedeutung die Rahmenbedingungen auf Landesebene haben können, wie sich wirtschaftliche Beteiligung etabliert. Denn die Energiewende wird auf Bundesebene beschlossen, aber die konkreten Maßnahmen werden in den Regionen umgesetzt. Sollten die Herausforderungen mit dem EEG 2016 weiter steigen, werden dann die Bundesländer zu den wesentlichen Treibern des Ausbaus erneuerbarer Energien mit wirtschaftlicher Beteiligung der Bürger- und Gemeinden? Dieser Frage widmet sich demnächst ein weiterer Beitrag an dieser Stelle.

Foto oben: istock/PsychoShadowMaker

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