Headline: Deutschland und Brasilien – zwei sehr unterschiedliche Pioniere erneuerbarer Energien

Im August werden Bundeskanzlerin Merkel, Energieminister Gabriel und eine Reihe weiterer Minister zu Regierungskonsultationen nach Brasilien reisen. Sie sollten diese Möglichkeit ergreifen, um die Zusammenarbeit zu erneuerbaren Energien unter der deutsch-brasilianischen Energiepartnerschaft zu beleben. Eine stärkere Kooperation mit Brasilien – ein wichtiger Vorreiter des weltweiten Ausbaus erneuerbarer Energien – kann schließlich auch die internationale Energiewende-Politik Deutschlands stärken.

Die deutsch-brasilianische Energiepartnerschaft wurde 2008 geschlossen. Neben Brasilien unterhält die Bundesregierung bilaterale Energiepartnerschaften mit Algerien, China, Indien, Marokko, Nigeria, Norwegen, Russland, Südafrika, Türkei und Tunesien. Für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sind diese Energiepartnerschaften ein zentrales Instrument seiner energieaußenpolitischen Strategie. Mit den Kooperationen soll der Ausbau erneuerbarer Energien und die Verbreitung effizienter Energietechnologien befördert werden. Die Kooperation unter der deutsch-brasilianischen Energiepartnerschaft verlief bislang sehr schleppend. Insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien ist der Dialog weitgehend blockiert. Dies mag verwundern. Schließlich sind erneuerbare Energien eine wichtige Komponente der Energiepolitik beider Länder. Zudem sehen sich beide Länder als Pioniere in der Nutzung erneuerbarer Energien und setzen sich in ihrer Außenpolitik für den Ausbau Erneuerbarer ein.

Allerdings unterscheiden sich die Sichtweisen beider Regierungen stark – sowohl in Bezug auf den Ausbau Erneuerbarer in beiden Ländern als auch auf Probleme und Lösungsansätze in der internationalen Politik. Diese Ideenunterschiede habe ich ausführlich in meiner Dissertation analysiert, die kürzlich unter dem Titel „Global Governance on Renewable Energy. Contrasting the Ideas of the German and the Brazilian Goverments“ erschienen ist. Darüber hinaus erschwert das auf beiden Seiten noch stark verankerte Nord-Süd-Denken die bilaterale Kooperation.

Energiewende auf Deutsch und auf Brasilianisch

Hintergrund des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland ist die hierzulande weit verbreite Skepsis gegenüber Atomenergie sowie der Klimaschutz. Mit der Energiewende strebt Deutschland eine grundlegende Umstrukturierung der Stromversorgung an. Erneuerbare Energien sollen Atomenergie und klimaschädliche fossile Energieträger ersetzen. Seit der Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 konnte der Anteil erneuerbarer Energien mehr als vervierfacht werden. Heute beträgt er 27,8 Prozent der deutschen Bruttostromerzeugung.[1] In den nächsten zehn Jahren soll er auf 40 bis 45 Prozent steigen und im Jahr 2050 schließlich bei 80 Prozent liegen. Dabei setzt Deutschland vor allem auf den Ausbau von Wind- und Solarenergie. Als großes Industrieland, das seine Stromversorgung grundlegend umstrukturiert und dabei vor allem auf fluktuierende erneuerbare Energieträger setzt, stößt die deutsche Energiewende auf großes internationales Interesse.

In Brasilien basiert die Stromversorgung seit jeher auf erneuerbaren Quellen. Mit einem Erneuerbaren-Anteil von 75 Prozent[2] erreicht Brasilien schon heute beinahe die Zielmarke, die in Deutschland für das Jahr 2050 gilt. Hintergrund ist das ausgeprägte Wasserkraftpotenzial Brasiliens, das Strom relativ kostengünstig erzeugen lässt. Allerdings wird der Anteil der Wasserkraft zukünftig sinken. Einerseits möchte Brasilien aufgrund der Erfahrung mit schwerwiegenden Dürren in den letzten Jahren seine Abhängigkeit von der Wasserkraft verringern. Andererseits ist es zunehmend schwer, das noch verbleibende Wasserkraftpotenzial zu erschließen. Bei der angestrebten Diversifizierung seiner Stromversorgung setzt Brasilien sowohl auf erneuerbare Quellen wie Bio-, Wind- und neuerdings auch Solarenergie als auch auf fossile Energieträger und Atomenergie. Brasilianische Vertreter betonen immer wieder, dass der brasilianische Erneuerbaren-Anteil in der Stromversorgung den weltweiten Anteil und den Durchschnitt der Industrieländer um ein Vielfaches übersteigt und dass die Emissionsintensität der brasilianischen Stromversorgung im internationalen Vergleich sehr gering ist.

Weltweiter Pionier einer Energiewende ist Brasilien im Transportsektor – und damit in einem Bereich, der in der deutschen Energiewende-Debatte zumeist ausgeklammert wird. Brasilien setzte bereits in den 1970er Jahren ein umfangreiches Programm zur Substitution von Erdöl durch Ethanol aus Zuckerrohr auf. Heute haben 95 Prozent der neu verkauften Pkw Motoren, die mit einer beliebigen Mischung aus Benzin und Ethanol angetrieben werden können.[3] Während in Deutschland bei einer Ethanol-Beimischung von 10 Prozent (E 10) bereits Sorgen über die Motorenverträglichkeit verbreitet wurden, tanken brasilianischen PKW – ob alt oder neu – Benzin mit einer obligatorischen Ethanol-Beimischung von 27 Prozent. Autofahrer können flächendeckend auch reines Ethanol tanken. Die brasilianischen Ethanol-Beimischungen – die zwischen 2008 und 2014 zwischen 47 und 90 Prozent schwankten[4] – sind die weltweit höchsten.

Wie die Blockaden unter der deutsch-brasilianischen Energiepartnerschaft zu überwinden sind

Unter der deutsch-brasilianischen Energiepartnerschaft wurde eine Arbeitsgruppe zu Biokraftstoffen eingerichtet. Diese konnte jedoch kaum Fortschritte erzielen. Während die brasilianische Seite vor allem die Errungenschaften des brasilianischen Ethanol-Sektors zeigen wollte, wollte die deutsche Seite in erster Linie die Nachhaltigkeit der brasilianischen Biokraftstoffproduktion kritisch unter die Lupe nehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Nachhaltigkeitsbedenken, welche die deutsche Sichtweise auf Biokraftstoffe dominieren – Abholzung des Regenwaldes und die Konkurrenz „Tank oder Teller“ – aus brasilianischer Sicht auf die Ethanol-Produktion in Brasilien kaum zutreffen. Die Böden des Amazonas-Regenwaldes sind nicht für den Anbau von Zuckerrohr geeignet. Dieser erfolgt vor allem im Südosten des Landes, weit entfernt vom Amazonas. Die „Tank oder Teller“-Debatte suggeriert, dass der Anbau von Biomasse für die Biokraftstoffproduktion über die Verdrängung von Nahrungsmittelproduktion letztendlich zu Hunger führe. Diese Annahmen treffen in einem Land wie Brasilien, das über sehr große Flächen fruchtbaren Bodens verfügt, nicht zu. Aber auch sonst greift diese Analyse etwas kurz, da der Faktor der Einkommensarmut komplett ausgeblendet wird. Hunger auf der Welt ist schließlich weniger die Folge einer absoluten Nahrungsmittelknappheit, als Konsequenz einer sehr ungleichen Verteilung von Nahrungsmitteln.

Für Brasilien ist die Ethanol-Produktion Quelle des nationalen Stolzes. Zudem ist sie ein Bereich, in dem sich Brasilien als internationaler Vorreiter profilieren kann. Die brasilianische Regierung vermutet, dass Deutschland mit den Nachhaltigkeitsforderungen vor allem seine heimische Biokraftstoffindustrie gegen die kostengünstigere und klimafreundlichere Konkurrenz aus Brasilien schützen möchte. Vertreter der brasilianischen Regierung haben den Eindruck, dass Deutschland zu einem offenen Austausch über Biokraftstoffe nicht bereit ist und eine konstruktive Zusammenarbeit in dem Bereich, in dem Brasilien führend ist, nicht möglich ist. Daher hat Brasilien die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zu erneuerbaren Energien im Stromsektor bislang verhindert. Hier wollte Deutschland vor allem den Austausch zu Solar- und Windenergie befördern – also zu den Bereichen, in denen Deutschland die Nase vorn hat.

Die deutsche Bundesregierung sollte die Regierungskonsultationen mit Brasilien im August nutzen, um diese Verhandlungsblockaden zu überwinden (ausführlicher erläutert in meinem SWP-Aktuell). Dazu sollte sie deutlich machen, dass es ihr unter dem deutsch-brasilianischen Energieabkommen nicht nur um die Vermittlung deutscher Expertise und deutscher Technologien nach Brasilien geht. Vielmehr sollte Deutschland zeigen, dass es zukünftig auch stärker die brasilianische Kompetenz zu erneuerbaren Energien in die Kooperation integriert. Dann wird Brasilien gewillt sein, auch den Dialog zu Solar- und Windenergie unter der bilateralen Energiepartnerschaft zu stärken. Dies könnte auch der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in beiden Ländern zu mehr politischer Sichtbarkeit verhelfen. Neben der brasilianischen Ethanol-Expertise bieten Erneuerbare-Auktionen einen gelungenen Anknüpfungspunkt. In Deutschland erfolgt nun die Umstellung der Erneuerbaren-Förderung von Einspeisevergütungen auf Auktionen. In Brasilien gibt es solche Auktionen schon seit 2009.

Mehrwert für die internationale Energiewende-Politik Deutschlands

Eine vertiefte Kooperation zu erneuerbaren Energien unter der deutsch-brasilianischen Energiepartnerschaft könnte auch zu einer Stärkung der internationalen Energiewende-Politik Deutschlands beitragen. So reicht für eine global nachhaltige Energieversorgung die Umstellung des Stromsektors auf Erneuerbare allein nicht aus. Vielmehr müssen auch im Transportsektor fossile Energieträger substituiert werden. Hier kann die brasilianische Erfahrung wichtige Teil-Lösungen bieten.

Darüber hinaus kann die internationale Energiewende-Politik Deutschlands nur dann erfolgreich sein, wenn sie nicht nur deutsche Erneuerbaren-Expertise vermittelt, sondern auch Wissen und Erfahrungen aus sehr unterschiedlichen Ländern integriert. Das ist ein wichtiger Ansatz für die Arbeit unserer Plattform Energiewende am IASS zur internationalen Dimension der Energiewende. Unter anderem organisierten wir gemeinsam mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) einen Workshop zur internationalen Energiewende-Politik Deutschlands, in dem wir den Austausch mit Erneuerbaren-Experten aus Nordafrika beförderten.

In meiner Promotions-Forschung habe ich immer wieder erschreckt festgestellt, wie tief verankert das Nord-Süd-Denken in der internationalen Kooperation zu erneuerbaren Energien nach wie vor ist. Der „Süden“ wird zumeist als Empfänger von Geld- und Technologietransfers gesehen, während der „Norden“ die Richtungen der Kooperation vorgibt. Länder wie Brasilien hinterfragen diese Machtkonstellation und sind nicht mehr bereit, diesen Spielregeln zu folgen. Für die internationale Energiewende-Politik Deutschlands ist es daher von essentieller Bedeutung, sich mit den Sichtweisen und Interessen dieser „neuen Player“ vertraut zu machen. Auch wenn die Kooperation nicht immer einfach ist.

Geändert von der Autorin am 23. Juli 2015 um 14:00 Uhr. Präzisiert wurde die Aussage, dass die Bedenken der Deutschen bezüglich der Ethanol-Produktion in Brasilien aus brasilianischer Sicht kaum zutreffen.

Foto: fotolia

[1] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2015: Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland, S. 38.

[2] Empresa de Pesquisa Energética 2015: Balanço Energético Nacional, S. 31

[3] USDA Foreign Agricultural Service 2014: Brazil Biofuels Annual, S. 12

[4] USDA Foreign Agricultural Service 2014: Brazil Biofuels Annual, S. 7

Kommentare

Gast am 22.07.2015 - 20:10

While I do find bilateral cooperation on this topic interesting, I'm afraid many serious issues are left unaddressed. The article says that sustainability concerns such as "clearing of the rainforest and the ‘food versus fuel’ dilemma – are not relevant to the Brazilian context also hasn’t helped. The soils of the Brazilian rainforest are not suitable for growing sugar cane. This crop is mainly cultivated in south-eastern Brazil, far away from the Amazon". Reading this is very upsetting as a Brazilian citizen. The Amazon is of course the biggest bioma in Brazil, but the Mata Atlantica (which is the one cleared for ethanol production and has been reduced to only 7% of its original size - http://www.mma.gov.br/biomas/mata-atlantica) is just as important as any other bioma (some people even argue it's more important than the Amazon, since that's where more than half of the Brazilian population live). The terrible social and working conditions of the people who do the sugarcane harvesting ("boias frias") are just apalling (some are even "working" under semi-slavery conditions) - not to mention other impacts caused by the Brazilian agribusiness sector, such as excessive water consumption (Sao Paulo, as well as other Brazilian cities, is currently going through a water supply crisis).

What to say, then, about the hydropower plants? Just to give one well-known example, the construction of the Belo Monte dam has taken the Brazilian government to the Inter-American Court of Human Rights for violating the rights of the indigenous population ( https://www.oas.org/es/cidh/indigenas/proteccion/cautelares.asp ). Environmental and social consequences of Brazilian hydropowerplants should not allow it to be called "clean" energy.

I certainly hope Germany takes none of that as an example. Brazilian energy policy is only a source of pride for those of very disturbing character and should not be pursued by any country that respects the wellbeing of its citizens and future generations.

Gast am 23.07.2015 - 14:59

Dear Cintia,

Many thanks for your comment. My main point is that sugarcane production for bioethanol does not take place within the Amazonas region – which is a common misunderstanding here in Germany. As my initial formulation was indeed not specific enough, I changed the wording in order to be more precise. In my <a href="http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/deutsch_brasilianische_energiepartnerschaft.html" rel="nofollow">policy paper for the SWP</a>, I also refer to the working conditions and local environmental impacts, such as air pollution – to demonstrate that the sustainability concerns that are commonly brought forward in Brazil are different to the food vs. fuel debate and the clearing of the Amazonas rain forest. However, several Brazilian NGO representatives that I met during my research in Brazil highlighted that the Brazilian ethanol industry has nowadays higher social and environmental standards than the ones that are prevailing in Brazilian agribusiness in general. And I would like to make another point here: whenever we criticize biofuels we should not blind out the negative impacts of oil production. If we forget to talk about oil, well-intended sustainability concerns may even perpetuate our oil dependency – and here, nothing is gained.

Sybille

Gast am 11.12.2015 - 20:54

Dear Sybille

Your paper offers a nice,clear assessment of the distance the Brazilian and the German approaches to renewable energies. This distance has its historical roots in the driving forces that led Brazil and Germany to push the use of renewable in their energy matrix. In Brazil, the main driving force was the country large dependence of oil imports to be used in the transportation sector. The use of renewable in the power sector was and still is not perceived as a need. Indeed, the Brazilian establishment is committed to the construction of large hydropower plants in Amazonia The establishment can hardly understand and accept any the criticism to that decision..

Cintia is absolutely right to point out that the idyllic presentation of the Brazilian renewable approach by its establishment is far from the reality, especially as far the work conditions in the sugar cane production that has not much changed in the last centuries.

I believe that the energy cooperation between Germany and Brazil must drive its focus beyond the narrow view of increasing the share of renewable in the energy matrix. The transition to renewable energy will take decades and the secure supply of oi is essential for a safe, peaceful energy transition. Although there is a situation of over supply of oil in these days, a large share of it is sourced at quite unreliable places. Brazil has the oil resources to become a substantial supplier of oil to the German ( European) energy transition.

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