Headline: Entscheidungsarchitektur im urbanen Raum

Teil 2 einer Blog-Serie zu Klimaschutz und strukturellem Wandel durch Partizipation von Katleen de Flander und Ina Richter

Das deutsche Klimaschutzziel für 2050 sieht eine 80- bis 95-prozentige Reduktion der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 vor. Wenn wir dieses Ziel ernst nehmen sollen, gibt es meiner Meinung nach zwei entscheidende Punkte, die wir vom jetzigen Augenblick an beachten müssen. Erstens, die Auswirkungen gegenzurechnen (etwa wenn Unternehmen CO2-Zertifikate kaufen, um ihre Emissionen zu kompensieren) ist keine geeignete Methode, um dieses Ziel zu erreichen, weil sie Klimaschutzmaßnahmen weitgehend auf Gebiete außerhalb der Landesgrenzen verlegt. Zweitens besteht, wie Ina Richter erwähnt, die glasklare Notwendigkeit, sich nicht auf Effizienzverbesserungen zu beschränken, sondern einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Dieser fundamentale Aspekt wird bei Umweltstrategien meist ausgelassen (siehe auch: Aktuelle Umweltschutz-Strategien und warum sie nicht funktionieren), bei denen Probleme im Rahmen eben jenes Systems angegangen werden, das sie hervorgebracht hat. Das Ziel von einer Million Elektrofahrzeugen bis 2020 ist ein gutes Beispiel für den Versuch, das Mobilitätsproblem zu lösen, indem man unsere fossil betankte Fahrzeugflotte durch eine Elektrofahrzeugflotte ersetzt, was zu einem höheren Materialdurchsatz, höherem Energiebedarf bei der Produktion und mehr Abfall führt.

Ehrgeizige Ziele erfordern eine andere Beziehung zwischen der Stadt und den Ressourcen, auf die sie angewiesen ist, und dafür ist, so meine ich, eine grundlegende Neuorganisation der urbanen Systeme erforderlich, die wir entwickelt haben, um Transport, Abfallentsorgung, die Versorgung mit Lebensmitteln, Bau usw. zu regeln. Mit anderen Worten, wir müssen nicht nur die Weise, wie wir Dinge „herstellen“, grundlegend umstellen (wie es praktisch vom cradle-to-cradle circular design approach vertreten wird), sondern auch und zuallererst die Weise verändern, wie wir Dinge „tun“. Das bedeutet eine veränderte Geisteshaltung: Statt im Sinne von „Gütern“ („das Besitzen von Produkten“, wie einem Auto, einer Waschmaschine usw.) zu denken, denken wir in „Funktionen“ (z.B. „von A nach B kommen“, „saubere Kleider haben“ usw.), was Raum für die Reorganisation der urbanen Umwelt schafft.

Abgesehen von der Tatsache, dass sich die meisten Strategien nach wie vor darauf konzentrieren, „Güter“ zu verändern, besteht bei der Änderung des Verbraucherverhaltens, selbst wenn man von der Nachfrageseite an Umweltprobleme herangeht, die Tendenz, sich auf eine Änderung der individuellen Entscheidung zum Zeitpunkt des Kaufs oder Gebrauchs zu konzentrieren. Marken und Sensibilisierungskampagnen zielen oft auf eine kognitive Verhaltensänderung, weil sie an das moralische Empfinden und das schlechte Gewissen der Leute appellieren. Damit lässt sich jedoch nur ein kleiner Prozentsatz der Bürger mobilisieren, dieser Ansatz hat sich damit, wenn man das Ausmaß und die Dringlichkeit der globalen Umweltprobleme bedenkt, als wirkungslos erwiesen. Eine einfache Umfrage in Kopenhagen ergab zum Beispiel, dass von den 40 Prozent der Menschen, die das Fahrrad als Haupttransportmittel nutzten, nur ein Prozent aus Umweltschutzgründen in die Pedale traten. Alle anderen taten es, weil es schneller, gesünder und/oder billiger ist. Daraus ergibt sich, dass wir Verhaltensänderungen neu überdenken müssen. Die Frage, wie sich das Verhalten einer kritischen Menge von Bürgern verändern lässt, ist also zentral.

Die urbane Morphologie und die Organisation des öffentlichen Raumes haben großen Einfluss darauf, wie die Menschen die Stadt nutzen und sich darin bewegen, was wiederum Fragen wie Lebensstil, Sicherheit, Niveau der Schadstoffbelastung und Konsummuster beeinflusst. Diese Einsichten sind nicht neu. In den 1960er Jahren schilderte Jane Jacobs im Detail, was ein Straßencafé oder einen Park beliebt macht. Die Arbeit von Jan Gehl konzentriert sich auf das „Leben zwischen Gebäuden“ und demonstriert, wie (kleine) Veränderungen im öffentlichen Raum das Verhalten der Menschen in der Stadt verändern. Das geschieht nicht, weil man ihnen sagt, wie sie es machen sollen, sondern weil der Kontext, in dem sie ihre Entscheidungen treffen (z.B. wie sie sich durch die Stadt bewegen) sich verändert hat. Mit anderen Worten, die „Choice Architecture“ oder Entscheidungsarchitektur hat sich verändert. Dieser Begriff, der auf Thaler und Sunstein zurückgeht,[1] beschreibt die verschiedenen Möglichkeiten, wie Entscheidungen (choices) den Verbrauchern präsentiert werden können, und welche Auswirkungen diese Präsentation auf die Entscheidungsfindung der Verbraucher hat. Wie wir urbane System planen, bauen und betreiben und wie wir urbanen Raum organisieren, schafft – auf den urbanen Kontext angewandt – ein sozialtechnisches Umfeld, das wiederum die „Lebensweise“ der Bürger beeinflusst, das heißt, wie sie in der Stadt Dinge nutzen und sich bewegen und wie sie die benötigten Ressourcen beschaffen, nutzen und entsorgen.[2]

Um wieder auf die Verhaltensänderung zurückzukommen, Thaler und Sunstein [1] unterscheiden zwischen zwei Systemen des menschlichen Gehirns, die für Verhalten zuständig sind: das „automatische“ System, das unkontrolliert, mühelos, assoziativ, schnell, unbewusst und geschickt agiert, und das „reflexive“ System, das kontrolliert, mühsam, deduktiv, langsam, ichbewusst und regelhörig arbeitet. Sie behaupten, ersteres sei bei weitem wichtiger als letzteres. Ein Großteil des Verhaltens wird von mentalen Prozessen gesteuert, die automatisch, intuitiv und emotionsgeleitet sind und deshalb wenig Überlegung und rationales Denken erfordern. Entsprechend unterscheiden Dolan u.a.[3] zwischen zwei Denkrichtungen bei der Frage der Verhaltensänderung: Die erste beruht darauf zu beeinflussen, worüber Menschen bewusst nachdenken; die zweite konzentriert sich auf eher automatische Prozesse der Beurteilung und der Beeinflussung und legt den Schwerpunkt weniger auf Fakten und Informationen und stärker auf Änderung der Zusammenhänge, in denen Menschen handeln.

Die Fragen, die wir stellen, sind:

  • In welchem Ausmaß können wir die Idee, die „Entscheidungsarchitektur“ zu verändern, auf urbanen Raum und urbane System anwenden, um Verhaltensänderungen zu veranlassen und transformative Veränderungen herbeizuführen?
  • Welche Rolle spielen Bürger bei dieser Frage?

Mehr dazu in unserem nächsten Beitrag.

Weitere Beiträge in dieser Blogserie:

Photo: Photo: Rami, “Supermarket” (Flickr Creative Commons)

[1] Thaler, Richard, und Cass Sunstein (2008), Nudge: Improving Decisions about Health, Wealth, and Happiness, Yale University Press.

[2] UNEP (2013), City-Level Decoupling: Urban Resource Flows and the Governance of Infrastructure Transitions. A Report of the Working Group on Cities of the International Resource Panel. (Autoren: Swilling, M., Robinson, B., Marvin, S. und Hodson, M.).

[3] Dolan, P., Hallsworth, M., Halpern, D., King, D., Vlaev, I., (o.J.), MINDSPACE ThePractical Guide, Influencing Behaviour through Public Policy. The Institute for Government, London.

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