Headline: Ökologische Nachhaltigkeit auf bhutanische Art

Haa Valley, Bhutan: A farmer walks down a rural pathway carrying a load of rice stalks. He wears a gho, the traditional men's garment. © istock/leezsnow
Haa Valley, Bhutan: A farmer walks down a rural pathway carrying a load of rice stalks. He wears a gho, the traditional men's garment. © istock/leezsnow

Als Kind lebte ich nahe am Wald und erledigte alles zu Fuß, denn es gab keine Straßen für Motorfahrzeuge. Außerdem hätten sich meine Eltern ein Familienauto gar nicht leisten können. Würde ich diese Geschichte Soziologen oder Medienreportern erzählen, hätte ich das Gefühl, ich würde über meine im Vergleich zu Menschen in entwickelten Ländern bescheidenen Verhältnisse jammern. Doch als ich meine Geschichte den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des IASS erzählte, tat ich dies ganz selbstbewusst, denn sie sind der Ansicht, dass wir in Bhutan auf dem richtigen Weg sind – hin zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Sollte ich also ihre Meinung übernehmen, dass die bhutanische Lebensweise für die Welt letztendlich ein – vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennbarer – Segen ist? Der Austausch, den ich mit den Leuten hier hatte, überzeugte mich von diesem Gedanken!

Was ist Bhutan in den Augen des Westens?

Im Westen gilt Bhutan als führend in Sachen Umweltmanagement. Wir erhalten Beifall dafür, dass wir unser Glück am Zustand unserer Wälder messen. Die Einrichtung von Schutzgebieten, die sich über die Hälfte unseres Landes erstrecken, erscheint dem Westen wie ein Wunder. Und wenn ich erzähle, dass es bei uns keine Umweltverschmutzung gibt, denkt man im Westen, dass wir ein Riesenglück haben, in diesem Teil der Welt zu leben. Wir haben sauberes Wasser, und mindestens 80 % der Bevölkerung brauchen zu Hause keinen Wasserfilter. Es scheint den Menschen im Westen, als ob wir völlig frei von Umweltproblemen wären. Wasserkraft, eine erneuerbare Energie, ist in Bhutan die einzige Energiequelle. Wenn ich diese Tatsache erzähle, fangen die Menschen im Westen wirklich an zu staunen. In solchen Momenten bin ich sehr stolz darauf, Bhutanerin zu sein. Dieses Gefühl veranlasste mich zu fragen: „Ist Bhutan in Sachen Umweltmanagement führend?”

Bhutanische Ambitionen

Die Priorität für Bhutan ist Entwicklung, denn wir haben den Wunsch, eine Lebensqualität wie in den entwickelten Ländern zu erreichen. Ich persönlich habe das Gefühl, dass ein Mensch, der sich ein Auto leisten kann, ein wirtschaftlich solides Leben führt. Meiner Ansicht nach ermöglicht das ein besseres Leben als ohne Auto. In Bhutan träumen wir davon, moderne Autos zu haben und darin um Wolkenkratzer wie jene am Potsdamer Platz in Berlin zu kurven. Wir finden es eleganter, bei McDonald’s und Domino’s zu essen. Nach unserem Empfinden verspricht die entwickelte Welt ein glücklicheres Leben als die Entwicklungsländer, und wir glauben, dass es in der entwickelten Welt perfekt sein muss. Wir finden es cool, in zerrissenen Jeans durch die Straßen einer Stadt zu ziehen … Das war auch meine Vorstellung von der entwickelten Welt, als ich noch den Wunsch hatte, in Industrieländern zu leben. Doch aus meiner jetzigen ökologischen Sichtweise habe ich nicht mehr den Eindruck, dass dort alles cooler und schicker ist.

Herausforderungen für Bhutan im Bereich der Nachhaltigkeit

In Bhutan sind wir aber auch mit Herausforderungen konfrontiert: Als kleines, sich entwickelndes Land verfügen wir nicht über genügend Ressourcen, um bestimmte auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) ausgerichtete Aktivitäten umzusetzen. Wir sind gezwungen, Prioritäten zu setzen, und zum jetzigen Zeitpunkt erhält der Umweltsektor von der Regierung keine vorrangigen Finanzmittel. Unser Wissenschaftssektor ist schwach, und wir müssen in eine Verbesserung der Wissenschaft investieren. Es wäre notwendig, Kapazitäten zu entwickeln und Einrichtungen zu schaffen, damit die Wissenssysteme in Bhutan verbessert werden können. Es besteht zudem eine Kluft zwischen den Personen, die Wissen generieren, und denjenigen, die es konsumieren. Ich finde die Institutionalisierung disziplinübergreifender Forschung wichtig, denn sie kann dazu beitragen, die Stabilität unserer sozioökologischen Systeme aufrechtzuerhalten.

Die Pläne der Regierung sind unverkennbar mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung verbunden. Die Herausforderung bei der Umsetzung besteht für uns darin, in der Bevölkerung, in der Forschung und in der Politik ein Gefühl der Dringlichkeit hervorzurufen. Dies wird die Generierung von Informationen und Wissen fördern und uns bei der Entwicklung von Lösungen und Abmilderungsmaßnahmen für aufkommende globale Herausforderungen gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft den Rücken stärken. Wenn sich der Klimawandel auf unser Wassereinzugsgebiet auswirkt, sollte eine Risikobewertung unserer Wasserkraftanlagen durchgeführt werden, denn es handelt sich hierbei um unseren größten Wirtschaftssektor. Für den Fall, dass unsere Wasserkraftanlagen gegen die Auswirkungen des Klimawandels nicht immun sind, müssen wir alternative Pläne entwickeln, um mit Sonne und Wind Energie zu gewinnen. Ich bekomme allein schon beim Gedanken an solche Szenarien Gänsehaut.

Eine Lektion in Sachen Nachhaltigkeit für Bhutan

Als sich entwickelndes Land haben wir einen Vorteil: Wir können beim Schutz unserer natürlichen Ressourcen und bei deren nachhaltiger und optimaler Nutzung von den Erfahrungen der Industrieländer lernen. Wir müssen uns in vielen Bereichen weiterbilden, etwa in Bezug auf die Notwendigkeit, unsere Einstellungen und Verhaltensweisen zu ändern, damit wir mit weniger Umweltproblemen konfrontiert werden. Wir können nicht einfach herumsitzen und nichts tun, wenn immer schlimmere Szenarien wie Luftverschmutzung, Verlust von Biodiversität, schwere Verkehrsstaus und überbevölkerte Städte vorhersehbar sind. Wir dürfen nicht warten, bis wir an diesen Kipppunkten ankommen, denn wir können sie uns nicht leisten. Wir brauchen eine bessere Ausbildung zu den weltweiten Herausforderungen für ökologische Nachhaltigkeit, und wir müssen uns vorbereiten – auf die Nachhaltigkeit Bhutans und die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung.

Haa-Tal, Bhutan: Ein Bauer läuft mit einem Bündel Reishalme an Häusern in traditioneller Bauweise vorbei. Er trägt einen Gho, die traditionelle Kleidung von Männern in Bhutan. © istock/leezsnow

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