Headline: Tiefseebergbau: Darf man alles tun, was man tun kann?

Mindestens 10 Millionen Jahre braucht es zur Entstehung einer Manganknolle. Dürfen wir heute dafür ein Ökosystem zerstören, obwohl wir wissen, daß die Schäden irreversibel und in ihrer Auswirkung nicht vorhersehbar sind?
Mindestens 10 Millionen Jahre braucht es zur Entstehung einer Manganknolle. Dürfen wir heute dafür ein Ökosystem zerstören, obwohl wir wissen, daß die Schäden irreversibel und in ihrer Auswirkung nicht vorhersehbar sind? GEOMAR/Thomas Walter

Wie legt man die Grenzen für neue Industrien und Tätigkeiten fest? Zurzeit werden in mehreren gesellschaftlichen Bereichen bestehende Grenzen überschritten, zum Beispiel bei der Erschließung von Rohstoffen in der auftauenden Arktis, der Förderung von Schiefergas, der potenziellen Nutzung von Methanhydraten oder eben dem Abbau von Erzen aus der Tiefsee.

Im Prinzip fordert die Abwägung, wie man solche Aktivitäten am nachhaltigsten gestalten kann, das Ausbalancieren zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen. In der Praxis findet meistens ein gleitender Prozess in Richtung der Nutzung statt - Umweltrisiken werden nur als technisch beherrschbare Hindernisse gesehen, die Anpassungsstrategien erfordern. Warum gibt es eigentlich keine öffentlichen, vorausblickenden Verfahren, um vor der Einführung - und vor substanzieller Mittelvergabe für weitere Forschung – zu klären, ob diese neuen Industrien gesellschaftlich relevant und gewünscht sowie unter Umweltgesichtspunkten akzeptabel sind? Eigentlich ist es sogar in verschiedenen Gesetzen und globalen Abkommen geregelt, dass die menschliche Nutzung nach dem Ökosystemansatz beurteilt wird, also keine nicht nachhaltigen Tätigkeiten zugelassen werden. Doch wie immer gibt es viel Raum für Interpretation...

Industrie interessiert sich für die Rohstoffe der Tiefsee

Für den Tiefseebergbau wäre eine vorausschauende Betrachtung und Abwägung von Prioritäten im Rahmen der Nachhaltigkeitsdiskussion von großer Bedeutung. Denn es geht um nichts anderes als darum, ob wir weitermachen wie bisher (wir nutzen alle irgendwie erschließbaren neuen Ressourcen, um unseren Konsum zu erhalten), oder ob wir ernsthaft darangehen, den Konsum auf ein Niveau und eine Qualität einzurichten, die wir mit Recyling (Wiederaufarbeitung), Reduktion (Materialverbrauch vermindern und Nutzungseffizienz erhöhen), und Substitution (Ersatz von schädlichen durch weniger belastende Materialien) erreichen können.

Der Wunsch nach Abbau (oder zumindest Reservierung) von Mineralien in der Tiefsee, möglichst außerhalb von nationaler Rechtsprechung und Ansprüchen, wird angetrieben von einigen Mythen (siehe den Blog-Beitrag meines Kollegen Jeff Ardron) und handfesten Interessen. Zum Beispiel dem Interesse der Industriestaaten an einem gesicherten Zugang zu Rohstoffen für ihre Industrien und an der Erschließung neuer Absatzmärkte für Hightech-Offshore-Technologie. Nicht unwichtig: Wer mitspielt, darf auch mitreden, z.B. in den Verhandlungen der Internationalen Meeresbodenbehörde. Erst in den letzten Jahren ist die Privatindustrie hier auch eingestiegen.

Seerechtsübereinkommen schützt Tiere und Pflanzen des Meeres

Dem stehen aber die Erfordernisse des Umweltschutzes entgegen. Das global gültige Seerechtsübereinkommen (SRÜ) verpflichtet alle Vertragsstaaten, die Meeresumwelt zu schützen und zu bewahren (Art. 192), die Verschmutzung der Meeresumwelt ungeachtet ihrer Ursache zu verhüten, zu verringern und zu überwachen. Zu diesen Verpflichtungen zählt auch, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz und zur Bewahrung seltener oder empfindlicher Ökosysteme sowie des Lebensraums gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten und anderer Formen der Tier- und Pflanzenwelt des Meeres zu ergreifen (Artikel 194.5 SRÜ). In Bezug auf die Auswirkungen des Tiefseebergbaus jenseits der nationalen Grenzen heißt es, dass Maßnahmen ergriffen werden, um „Störungen des ökologischen Gleichgewichts der Meeresumwelt zu verhüten, zu verringern und zu überwachen, wobei insbesondere auf die Notwendigkeit zu achten ist, die Meeresumwelt vor schädlichen Auswirkungen von Tätigkeiten wie Bohr-, Dredge- und Baggerarbeiten, Abfallbeseitigung, Errichtung, Betrieb oder Unterhaltung von Anlagen, Rohrleitungen und sonstigen mit diesen Tätigkeiten im Zusammenhang stehenden Geräten zu schützen“; sowie „die natürlichen Ressourcen des Gebiets zu schützen und zu erhalten sowie Schäden für die Tiere und Pflanzen der Meeresumwelt zu vermeiden“.(Artikel 145, SRÜ[1]).

In Europa gibt es überdies die vertragliche Verpflichtung zur Verbesserung der Umwelt, zum Erreichen eines guten Umweltzustandes der Meere und, zumindest bislang, eine Politik, welche eine Entwicklung hin zur Kreislaufwirtschaft ermöglichen sollte (Europa 2020).

Fakten zum Tiefseebergbau

Als Tiefsee bezeichnet man alle Meeresgebiete jenseits der Kontinentalschelfe, also meist mit Tiefen größer als 200 m. Eine bis zu 10.000 m hohe Wassersäule bedeckt den Meeresboden, der eine Landschaft aus Ebenen mit Hügeln und gelegentlich hoch aufragenden Vulkanen ist, die durch die Berglandschaft der Mittelozeanischen Rücken geteilt und durch die Kontinentalschelfe, Inselbögen und Tiefseegräben umgrenzt wird. Unterhalb von etwa 200 m findet keine Primärproduktion mehr statt, und unterhalb von 1000 m ist es immer dunkel und kalt. Die Fauna der Tiefsee ist angepasst an ein geringes und fleckenhaft verteiltes Nahrungsangebot, ist in der Regel langlebig, mit unregelmäßiger Reproduktion und nicht störungsresistent. Dies ist nur anders an Hydrothermalquellen, wo die direkt an den Schloten lebenden Arten dank Symbionten direkt das metall- und schwefelhaltige Wasser zum Wachstum nutzen können.

Was sind die Umweltprobleme beim Tiefseebergbau?

Es gibt drei Typen von „Lagerstätten“, die mit unterschiedlicher Technologie in unterschiedlichen Ökosystemen und in unterschiedlicher Tiefe abgebaut werden könnten:

  • Sulphidische Ablagerungen (SMS) an aktiven oder erkalteten Hydrothermalquellen, zum Beispiel auf den Mittelozeanischen Rücken (1500-5000 m Tiefe). In langsamen Spreizungszonen, wie beispielsweise im Atlantik, bestehen die einzelnen Hydrothermalfelder über Jahrhundertausende, die Ablagerungen sind entsprechend dick - aber auch die Artengemeinschaften sind einzigartig. Ein erstes Abbauunternehmen wird voraussichtlich 2017 in Papua-Neuguinea starten. Der Abbau der Ablagerungen an einzelnen Hydrothermalfeldern dauert wenige Jahre, es müssen daher mehrere Felder abgebaut werden, damit der Aufwand wirtschaftlich profitabel ist. Die Technologie für Förderung und Aufarbeitung ist vorhanden, muss aber noch erprobt werden.
Ein Schwarzer Raucher auf dem mittelatlantischen Rücken in etwa 3000 Metern Tiefe. Das Foto entstand während einer Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff METEOR auf der Fahrt M78-2. Foto: ROV KIEL 6000, GEOMAR
Ein Schwarzer Raucher auf dem mittelatlantischen Rücken in etwa 3000 Metern Tiefe. Das Foto entstand während einer Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff METEOR auf der Fahrt M78-2. Foto: ROV KIEL 6000, GEOMAR
  • Polymetallische (Mangan-)Knollen bedecken in z.T. großer Dichte den Tiefseeboden in subtropischen Ozeanen (4000 bis 6000 m Tiefe). Die Lebensräume der Tiefsee haben eine höhere Diversität pro Flächeneinheit als der tropische Regenwald und sind nicht an Störungen angepasst. Es gibt keine Regeneration für gestörte Gebiete. Man hat beobachtet, dass auch 36 Jahre nachdem eine einzelne Schleppspur in den Tiefseeboden gefurcht wurde die physischen, chemischen und biologischen Eigenschaften nicht wiederhergestellt waren (s. Foto unten). Ein einzelnes Abbauvorhaben würde über mindestens 20 Jahre pro Jahr mindestens 200 km2 Tiefseeboden in Wüste verwandeln. Dabei werden große Mengen feinen Tiefseesediments aufgewirbelt, die sich sehr langsam und über große Flächen verteilen - und die Fauna beeinträchtigen. Deswegen würden über 20 Jahre mindestens 10.000 km2 pro Abbauvorhaben „verbraucht“. Die Technologie für das Einsammeln und Fördern der Manganknollen wird entwickelt, unter anderem auch in Deutschland, aber es fehlen Verfahren zur Aufbereitung der großen Vielfalt an Metallen in den Knollen.
  • Polymetallische Krusten sind über Millionen von Jahren gebildete Ablagerungen (max. 5 mm in 1 Million Jahren) auf frei liegendem Gestein an den Flanken untermeerischer Berge (800 - 2500 m). Gerade dieser Bereich der Seeberge ist aber auch ökologisch sehr relevant, z.B. für Korallen und Schwämme, aber auch für schwarmbildende Tiefseefische. In der Folge wurde genau dieser Bereich an vielen Seebergen durch Tiefseefischerei bereits zerstört. Man konnte feststellen, dass über Jahrzehnte keine Wiederbesiedlung der Lebensräume stattfand. Bislang ist technisch nicht gelöst, wie die Krusten vom Gestein zu trennen sind.

Daher muss man im Prinzip alle drei Typen getrennt betrachten, aber alle Verfahren haben auch Gemeinsamkeiten:

Rohstoffabbau ist per se nicht nachhaltig. Alles was wir heute verbrauchen, steht künftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung.

  • Es werden die letzten bislang vom Menschen weitgehend unbeeinflussten Ökosysteme (teilweise) zerstört, mit unabsehbaren Folgen für das lokale und damit verbundene Nahrungsnetz;
  • Die betroffenen Ökosysteme sind besonders empfindlich und deshalb unter diversen internationalen und regionalen Konventionen und Gesetzgebungen (Europäische Union!) geschützt.
  • Das Wissen um die Lebensräume der Tiefsee, angefangen von der Anzahl und Verteilung der Arten bis zur Vernetzung der Boden- und Wasserlebensräume ist so gering, dass eine Risikoabschätzung auf den erforderlichen räumlichen und zeitlichen Skalen nicht möglich ist - und auch kaum möglich werden wird.
  • Weil der Tiefseebergbau unter der Oberfläche stattfindet, werden die Folgen zunächst weder zu sehen noch zu spüren sein - dies könnte dazu führen, die Umweltzerstörung zu unterschätzen.
  • Damit wird die allgemeine Belastung der Meere durch die Folgen von landbasierter Verschmutzung, Müllentsorgung, Seeverkehr, Fischerei, Offshore-Förderung von Öl und Gas sowie zunehmend Aquakulturen und Windkraftanlagen weiter erhöht.

Sollten wir nicht doch lieber alle Energien und Mittel darauf verwenden, den Zustand der Meere - wie in allen globalen und regionalen Konventionen angestrebt - zu verbessern, indem wir die Belastungen durch unsere Nutzung verringern statt sie unabsehbar zu erhöhen?

Lohnt sich der Aufwand überhaupt für uns als gemeinsame Besitzer der Meeresressourcen? Oder werden nur wenige (Firmen) profitieren? Für ganz Europa wird der Zugewinn an Arbeitsplätzen auf weniger als 500 geschätzt.

Oder verlieren wir am Ende viel mehr, als wir gewinnen?

Zum Weiterlesen:

Gelpke, N., Visbeck, M.H., 2014. Rohstoffe aus dem Meer – Chancen und Risiken. world ocean review - Mit den Meeren leben 3, Maribus, pp. 1-168.

Bergbau in der Tiefsee. Grenzland für Forschung, Technologie und Naturschutz. WWF Deutschland Hintergrunddokument. 7 pp. http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Hintergrundpapier-Tiefseebergbau.pdf

WGBU, 2013. Welt im Wandel. Menschheitserbe Meer. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, pp. 1-28 (Zusammenfassung).http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/hg2013/wbgu_hg2013_kurz_dt.pdf

Photo oben: Bis zu 10 Millionen Jahre alt sind die Manganknollen, die die GEOMAR-Expedition SO237 jetzt im Atlantik entdeckt hat. Foto: Thomas Walter

[1] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20040579/index.html

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