Forschungsinstitut für
Nachhaltigkeit | am GFZ

Nord-Süd versus Zentrum-Peripherie

16.05.2025

Die Anthropologin Josefina Lehnen, eine junge Fellow am RIFS, arbeitet zum Thema eines gerechten Überganges (Just Transition) im Globalen Süden am Beispiel Ecuador und dem Rohstoffabbau. Dort findet gerade ein Übergang von der Erdölförderung zum Abbau von kritischen Rohstoffen allen voran Kupfer statt. Lehnen beobachtet, wie diese Veränderungen geschehen und ausgehandelt werden. Derzeit erarbeitet sie das Exposé für ihre Dissertation. 

Josefina Lehnen Fellow
Fellow Josefina Lehnen.

Dabei gehe es ihr während ihrer Zeit am RIFS vor allem darum, über den Tellerrand der eigenen Disziplin zu blicken und neben der anthropologischen Sicht auch mit dem Blick der Politikwissenschaften oder Naturwissenschaften auf die aktuellen Umwälzungen zu schauen. „Die Trennungen der Disziplinen sind nicht mehr der Komplexität und den Krisen gewachsen, denen wir uns gegenübersehen“, sagt Lehnen. „Nur mit Sozialwissenschaften allein können wir die multiplen Anforderungen nicht beschreiben, genauso wenig wie nur mit einer naturwissenschaftlichen Perspektive.“

Die Konzepte eines gerechten Übergangs

Die Just Transition (gerechter Übergang) beschreibe grundsätzlich einen sozial gerechten Übergang von fossilen Industrien zu nachhaltigen Wirtschaftsformen. Für den European Green New Deal hat die Europäische Union zum Beispiel einen Just Transition Mechanismus erstellt, der eine bestimmte Menge an finanziellen Mitteln zur Verfügung stellt, um strukturschwache Regionen zu unterstützen, die sich in diesem Übergang befinden, etwa mit Weiterbildungsmöglichkeiten für Beschäftige in den fossilen Industrien - vergleichbar mit den Mitteln bei uns für Menschen in Kohleregionen. Es brauche einerseits diese finanzielle Förderung und andererseits auch sehr starke Gewerkschaften. Beides existiere im globalen Süden in dieser Form nicht. Wo soll ein Land wie Ecuador dafür Mittel herbekommen? Es sei nicht möglich, weil die Staatskassen durch Schuldenstrukturen eingeengt seien, so Lehnen. 

„Da ist schlicht kein finanzieller Spielraum vorhanden“, sagt die Fellow. Außerdem bestehe eine andere Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft. „Staaten wie Ecuador sind durch ihre koloniale Vergangenheit geprägt, das heißt, der Gesellschaftsvertrag ist anders. Deshalb kann man nicht alles einfach übertragen auf Länder im globalen Süden“, argumentiert Lehnen. Gleichzeitig stelle sich die Frage, wie eine Just Transition in diesem Kontext stattfinden kann. Was würde das für den globalen Süden bedeuten? 

Lehnen interessiert sich dabei vor allem für die verschiedenen Diskurse zu einer Just Transition: „Der ecuadorianische Staat und die Industrie deklarieren ‚Wir haben Erdöl abgebaut, aber gehen jetzt zum Abbau von dem kritischen Rohstoff Kupfer über, weil der zum Beispiel für die E-Mobilität gebraucht wird‘. Diese Verschiebung wird von der grünen Extraktivismus-Theorie kritisch beleuchtet, weil es eigentlich genau das Gleiche ist wie zuvor, nur im vermeintlich ‚Grünen‘.

Alternative Pfade erkunden

Der andere Diskurs fokussiert eher eine sozio-ökologische Transformation, ein Nachdenken darüber, was für andere Optionen es in einem Land wie Ecuador gibt. Dabei fließen indigene Konzepte mit ein, wie das gute Leben oder die Rechte der Natur, aber auch demokratische Mechanismen wie Volksentscheide. Ich habe beispielsweise zwei Volksentscheide gegen Bergbau und Erdölförderung unter diesem Aspekt für meine Masterarbeit angeschaut.“ Die Auseinandersetzung zwischen diesen Diskursen analysiert Lehnen durch die Linse der Just Transition, „um ihre aktuellen eurozentrischen Grundsätze kritisch zu hinterfragen“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin. 

Derzeit beschäftige sie allerdings auch die sogenannte Nord-Süd-Binarität: „Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, sich so auf den Globalen Süden zu versteifen, weil auch in ländlichen Regionen von Serbien, Spanien und Portugal vermehrt Rohstoffe für die Energiewende abgebaut werden, also in peripheren Regionen innerhalb von Europa. Vielleicht ist es daher sinnvoller zu sagen, es geht um Zentrum-Peripherie-Dynamiken? Diese Frage möchte ich in meiner Promotion weiter vertiefen.“ 

„Die Frage ist übrigens nicht, die Stoffe überhaupt nicht mehr abzubauen“, erläutert die Wissenschaftlerin. Rohstoffe wie Kupfer müssten für die Dekarbonisierung und Energiewende zu einem gewissen Maße abgebaut werden. Aber dabei sei die Frage vielmehr, wie sie abgebaut werden, wo genau, unter welchen Bedingungen, mit welchen Standards und vor allem in welcher Menge. Auch das werde unter einer alternativen Auffassung der Just Transition diskutiert.  

Kontakt

Sabine Letz

M. A. Sabine Letz

Referentin Presse
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Josefina Lehnen

Josefina Lehnen

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