Overline: Interview
Headline: IASS-Direktor berät Bürgerrat fürs Klima

160 zufällig ausgeloste Personen, zwölf Sitzungen, 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Klima- und Gesellschaftswissenschaften: Sie sind der Bürgerrat fürs Klima, der unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler seine Arbeit aufnimmt. Der "Rat der 160" erarbeitet nun Empfehlungen für die deutsche Klimapolitik. Sie werden von einem Expertenkuratorium unterstützt, welches Prof. Ortwin Renn vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) leitet. Im Interview erläutert Prof. Renn, was der Bürgerrat leisten soll.

Ortwin Renn IASS Direktorium
In this interview, Prof. Ortwin Renn of the IASS explains what the Citizens' Council is supposed to do. IASS/ L. Ostermann

Über Klimaschutz wird auch in den Parlamenten heiß diskutiert. Was kann ein Bürgerrat leisten, was die gewählten Abgeordneten nicht auch leisten könnten?

Prof. Ortwin Renn: Bürgerräte stehen für eine Vielzahl unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen mit ihren eigenen Interessen, Werten und Präferenzen. Zudem vertreten sie die Menschen, die durch politische Maßnahmen in ihrer künftigen Lebensgestaltung beeinflusst werden. Was liegt da näher, als mit den jeweils betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Konsequenzen unterschiedlicher Handlungsoptionen zu diskutieren und danach auf der Basis des vorhandenen Wissens und einer Ausrichtung am Allgemeinwohl Handlungsempfehlungen an die Politik zu formulieren? Dabei geht es nicht um den Ersatz parlamentarische Entscheidungen durch Bürgerinnen und Bürger, sondern vielmehr um eine Erweiterung der Perspektiven, die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei ihrer Urteilsbildung und ihren Entscheidungen berücksichtigen sollen.
 
Wie können 160 ausgeloste Bürgerinnen und Bürger - auch ohne Expertinnen und Experten zu sein - zu effektiven und machbaren Lösungen kommen?
O. R.: Die Einrichtung von Bürgerräten verfolgt nicht die Absicht, sachliche Expertise oder die politische Urteilskraft von Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu ersetzen. Vielmehr geht es darum, Wertgutachten aus der Sicht der Erfahrungs- und Lebenswelt der von Entscheidungen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu erstellen. Inzwischen ist es selbstverständlich, dass sich die Politik vor wichtigen Entscheidungen Fachgutachten von Expertinnen und Experten, etwa aus der Wissenschaft, erstellen lässt. In Zukunft sollte es ebenso selbstverständlich sein, dass sich die Politik neben den Fachgutachten auch Wertgutachten einholt, um die besondere Sichtweise und Perspektive der Bürgerinnen und Bürger zu einem sie betreffenden Thema in ihre eigene Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.
 
Was geschieht mit den Ergebnissen und Vorschlägen des Bürgerrats Klima?
O. R.:  Die Vorschläge des Bürgerrates Klima dienen vor allem der Politikberatung, sollen aber auch allen Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft zugutekommen. Denn viele der Entscheidungen, die zu einem wirksamen Klimaschutz beitragen, erfordern zum Teil massive Eingriffe und Veränderungen in Bezug auf Produktionsverfahren, Energieversorgung, Ernährung und individuelle Lebensstile. Umso wichtiger ist es deshalb für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die gut informierten Urteile der von diesen Maßnahmen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu kennen und zu beherzigen, um gleichzeitig kluge, wirksame und von der Gesellschaft mitgetragene Entscheidungen zu treffen.

Weiterführende Informationen:

Bis zum 23. Juni diskutieren die 160 Bürgerinnen und Bürger, wie die klimapolitischen Ziele im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen noch erreicht werden können – unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte. Die Mitglieder des wissenschaftlichen Kuratoriums, zu welchem auch Atmosphärenwissenschaftler Mark Lawrence vom IASS zählt, beantworten den Teilnehmenden während des Bürgerrats aufkommende Fragen rund um Klimaschutz und erläutern den aktuellen Stand der Forschung aus den unterschiedlichsten Disziplinen heraus. Besonderes Augenmerk erhalten die Themenbereiche Verkehr, Gebäude und Wärme, Energieerzeugung und Ernährung.

Der erste Klima-Bürgerrat ist nach Vorbildern in Frankreich und Großbritannien entstanden. Er soll gewährleisten, dass die Weichenstellungen in der Klimafrage von allen im Land mitgetragen werden. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis hatte den Bürgerrat Klima im Dezember 2020 initiiert. Die Ergebnisse werden Ende Juni abgestimmt und im Herbst allen Parteien des deutschen Bundestages überreicht und sollen in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.

Mehr Informationen zum Bürgerrat Klima: buergerrat-klima.de

Der Bürgerrat Klima