Forschungsinstitut für
Nachhaltigkeit | am GFZ

Erleben wir gerade das „Ende der Vernunft“?

11.12.2025

M. A. Sabine Letz

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Jürgen Trittin, ehemaliger Bundesumweltminister und langjähriger Bündnis 90/Die Grünen-Politiker
Trittin warnte davor, dass das Vertrauen in die Wissenschaft durch gezielte Angriffe erschüttert sei, etwa im Zuge der Trump Administration. Er blockiere zum Beispiel erneuerbare Energien, subventioniere den Kohleabbau und greife massiv die wissenschaftliche Freiheit an.

Jürgen Trittin, ehemaliger Bundesumweltminister und langjähriger Bündnis 90/Die Grünen-Politiker, hat in seiner Keynote bei der ersten RIFS-Konferenz die Entwicklung der Klimadebatte von einem breiten Konsens zu einer tiefen Polarisierung analysiert. Er eröffnete mit der Frage, ob es ein „Ende der Vernunft“ gebe? Und führte aus, dass das Klimathema inzwischen von einer gut organisierten Minderheit dominiert wird, die gezielt Ängste schürt und Fakten verleugnet. Diese Gruppe, unterstützt von der fossilen Lobby, nutzt Medien, Social‑Media‑Algorithmen und populistische Rhetorik, um die Öffentlichkeit zu spalten.

Dieser Blogpost ist Teil einer Serie über die RIFS-Konferenz 2025, "Tough Conversations in Tough Times" (Schwierige Gespräche in schwierigen Zeiten).

Trittin warnte davor, dass das Vertrauen in die Wissenschaft durch gezielte Angriffe erschüttert sei, etwa im Zuge der Trump Administration. Trumps Strategie sei die Energiedominanz durch fossile Energien – Zitat: „Bohr, Baby, Bohr“. Er blockiere zum Beispiel erneuerbare Energien, subventioniere den Kohleabbau und greife massiv die wissenschaftliche Freiheit an. USA und Russland, beide stützten ihre Macht auf Fossile – und beide haben die „Energiedominanz als nationale Eckpfeiler“. Trump setzt dabei Lügen als politisches Werkzeug ein. Ähnliche Strategien beobachte Trittin in Europa, etwa bei der deutschen Heizungsdebatte, wo falsche Behauptungen die öffentliche Meinung manipulierten.

Zum Beleg nahm Trittin Statistiken zu Hilfe, die den Wandel aufzeigen: 2019 hielten 68 Prozent der Deutschen Klimaschutz für „sehr wichtig“, 2025 nur noch 54 Prozent. Acht Prozent der Bevölkerung leugnen heute den Klimawandel, während 18 Prozent als „Entschlossen für Klimaschutz“ gelten. Im Ranking rückte Klimaschutz von Platz 4 (2019) auf Platz 8 (2025). Durch die Kombination aus Angst, Hass und der Identifikation eines gemeinsamen Feindes – „linke Elite“, Migranten bis zu LGBTQ Personen oder Veganer – schaffe die rechte Bewegung ein narratives Gerüst, das den Klimaschutz als Bedrohung darstelle. Jedoch lehnt Trittin die kommunikative Nutzung von Klimaangst ab, da sie Resignation schaffe.

Blick auf globale Entwicklungen

Doch es gebe auch positive Entwicklungen: Die erneuerbaren Energiekapazitäten seien 2023 um 585 GW (= 92 Prozent der Neuzugänge) gewachsen, während fossile Quellen nur 7,5 Prozent ausmachten. Investitionen in grüne Technologien überträfen fossile Förderungen mehrheitlich, vor allem in China, was inzwischen mehr in saubere Energie investiere als Europa und die USA zusammen. Trotz dieser Fortschritte bleibe die politische Debatte in vielen demokratischen Staaten rückständig. 

Ein zentrales Argument Trittins war, dass Gerechtigkeit nicht mehr auf Chancengleichheit basiere, sondern es als fair empfunden werde, „wenn es anderen schlechter geht“. Diese neue Definition nähre den Rechtspopulismus und führe zu einem Rückgriff auf nostalgische Rollenvorstellungen, insbesondere der männlichen Ernährer-Rolle. 
 

Medien

Facts, lies, feelings — tough times for science. Keynote by Jürgen Trittin

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Trittins Thesen für die Zukunft

  1. Die Minderheit der Polarisierer bestimmt den Diskurs; sie haben jedoch keine Mehrheit.
  2. Werte wie Ökologie sind universell, aber sie werden nicht mehr kollektiv gelebt.
  3. Dystopische Szenarien erzeugen Resignation statt Handlungsfähigkeit.
  4. Der Nutzen des Klimaschutzes liegt in neuen Arbeitsplätzen, günstiger Energie und technischer Souveränität.
  5. Ein unabhängiges Europa, das auf erneuerbare Energien setzt, kann geopolitische Autonomie zurückgewinnen.
  6. Wissenschaftliche Freiheit muss verteidigt werden; nur so könne dem Klimawandel wirksam begegnet werden.

Trittin schloss mit dem Appell, den „Glauben an das Feuer“ – die ideologische Verherrlichung fossiler Energie – abzuschaffen und stattdessen eine zukunftsorientierte, rationale Klimapolitik zu verfolgen, die auf „Fakten, gesellschaftlichem Zusammenhalt und technologischem Fortschritt beruht."

Fishbowl-Diskussion

Die Diskussion widmete sich den Spannungen zwischen Wissenschaft, Politik und öffentlichen Emotionen: Die Teilnehmenden stellten einerseits fest, dass es zwar ein attraktives Bild sei, von Fakten als “Sex der Wissenschaft“ zu sprechen, doch die Realität zeige, wie wenig Fakten allein ausreichten, um gesellschaftliche Veränderung zu bewirken. Zugleich werde Wissenschaft häufig fälschlicherweise als direkte Anleitung für politische Entscheidungen missverstanden.

Ein zentrales Argument war, dass nicht nur die fossile Industrie, sondern vor allem die Kommunikationsbranche die öffentliche Debatte steuere. Die Diskussionsteilnehmer:innen forderten strengere Kartell  und Plattformregulierungen, insbesondere auf europäischer Ebene, um die Monopolisierung von Informationsflüssen zu verhindern. Sie verwiesen auf Beispiele aus Russland, Ungarn und den USA, wo Oligarchen oder Politiker Medienunternehmen erwarben, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. 

Im Hinblick auf die Klimapolitik kritisierte die Runde die übermäßige Fokussierung auf individuelle Verhaltensänderungen – etwa vegetarische Tage oder Konsum „Hygiene“ – und betonte stattdessen, wie entscheidend strukturelle Eingriffe seien. Dazu gehörten CO₂ Steuern oder Abgaben auf problematische Importgüter wie Soja.

Die Teilnehmenden betonten, dass Emotionen zwar unvermeidlich seien, jedoch nicht ausschließlich als Angstinstrumente eingesetzt werden sollten. Statt Resignation durch eine dystopische Zukunftsvision zu erzeugen, müssten positive Narrative erschaffen werden, die die konkreten Vorteile des Übergangs – neue Arbeitsplätze, technologische Innovationen, mehr europäische Unabhängigkeit – in den Mittelpunkt stellen. Es kam der Gedanke auf, dass so eine „neue Religion des Feuers“ (Fossilbrennstoffe) durch eine „Religion des Fortschritts“ (Erneuerbare, KI, digitale Medien) ersetzt werden könnte.

 

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