Overline: Exkursion nach Feldheim
Headline: Wo die Energiewende längst Realität ist

Feldheim Windräder Abendlicht
Feldheim: Windräder herbstlichen Abendlicht. IASS/ S. Letz

Es ist vielen schon länger klar, dass etwas geschehen müsste. "Man müsste mal...". Eigentlich. Doch mit dem Energieversorgungsengpass durch den Ukrainekrieg zieht nun bei den meisten die Krise endgültig als lästiger Mitbewohner ein, sitzt als Mahnmal auf dem Sofa, erinnert im schlecht geheizten Zimmer oder während der kurzen, lauwarmen Dusche, dass da was war, was längst hätte… So wird nun aus, „man müsste mal... eine Alternative zur Gas- oder Ölheizung suchen", plötzlich Top eins der nächsten Wohnungseigentümer-Versammlung. Geht doch!

Dabei gibt es sie längst, die Beispiele von denjenigen, die sich hierzulande schon vor über einem Jahrzehnt aufgemacht haben, die Energiewende umzusetzen und auf eine kohlenstoffneutrale Produktion von Wärme und Strom zu setzen. Wer oder was waren dort die Treiber oder Treiberinnen? Worauf haben sie gesetzt? Wie ist es gelungen, dafür die ganze Kommune oder das ganze Dorf zu begeistern? Die IASS-Forschungsgruppe "Energiewende und Public Policy" um Prof. Johan Lilliestam hat sich mit weiteren Kolleginnen und Kollegen vom IASS im 50 Kilometer entfernten Feldheim bei Berlin umgeschaut und informiert.

Feldheim Anfahrt
Franziska Mey erklärt ihren Kolleginnen und Kollegen, was es an dem Nachmittag zu sehen geben wird. IASS/ S. Letz

Lilliestams Gruppe erforscht, mit welchen wissenschaftlichen Ergebnissen Politikerinnen und Politiker unterstützt werden können, um einen schnellen und gerechten Übergang zu einem Energiesystem ohne fossile Quellen zu bewerkstelligen. Dabei untersucht die Gruppe alle politischen Schritte der Energiewende, von der Bereitstellung kohlenstofffreier Technologien bis zur Anpassung der Institutionen an die neue Situation.

Vor Ort in Feldheim wird die Gruppe erwartet: Kathleen Thompson vom Förderverein Neue Energien Forum Feldheim stellt die Gemeinde in Zahlen vor: Seit 2010 hat sich Feldheim mit damals 130 Bewohnerinnen und Bewohnern (Heute: 150) auf ihre Reise in eine fossilfreie Zukunft begeben. Seither sind 55 Windkraftanlagen mit einer Leistung von 123 Megawatt entstanden, deren Gesamtjahresertrag bei 250 Millionen Kilowattstunden liegt.

Windkraftanlagen in Feldheim

Ein Regelkraftwerk mit zehn Megawatt gleicht Frequenzschwankungen aus. Dieses ist ein Speicher, der eine Reserveleistung für das Übertragungsnetz zur Verfügung stellt. Diese wird benötigt, um kurzfristige Schwankungen im Netz auszugleichen. Bei einem Stromüberangebot entlastet das Regelkraftwerk (RRKW wird es abgekürzt) kurzfristig das Netz, umgekehrt wird innerhalb von Sekunden Leistung abgegeben, was das Netz stabilisiert. Diese Batteriebank besteht aus rund 3000 Speichermodulen.

Wobei dies das öffentliche Stromnetz in Ostdeutschland betrifft, denn die knapp 40 angeschlossenen Feldheimer Haushalte verbrauchen nur einen kleinen Teil des erzeugten Windstroms. Der Bärenanteil fließt ins öffentliche Stromnetz: 55.000 Haushalte werden jedes Jahr versorgt.  

Feldheim Thompson Führung
Kathleen Thompson (Mitte mit azurblauer Jacke) führt die Gruppe über das Areal in Feldheim. IASS/ S. Letz

Die Wärmeversorgung wiederum geschieht über eine Biogasanlage, die mit Schweine- und Rindergülle gefüttert wird, aber auch Maissilage und Getreideschrot von den Agrarbetrieben vor Ort, sogenannte Nachwachsende Rohstoffe (NaWaRo). Wenn es eng wird, kann eine Holzhackschnitzelheizung hinzugezogen werden. Und was am Ende aus der Biogasanlage herauskommt, dient auf den Feldern als Dünger.

Über das Nahwärmenetz Feldheim werden die knapp 40 Haushalte Feldheims, eine Industrieeinheit, zwei kommunale Gebäude und vier landwirtschaftliche Betriebe beheizt. Das Besondere: Sie alle sind zugleich mit der Stadt Treuenbrietzen die Gesellschafter und Gesellschafterinnen der Feldheim Energie GmbH & Co. KG. „Sie konnten sich mit einem Partnerbeitrag von 3000 Euro an der GmbH beteiligen und werden von fünf Repräsentanten vertreten“, sagt Thompson, dies führe zugleich zu einer höheren Akzeptanz des Gesamtprojekts.

Warum kam dieses Areal für einen Windpark dieser Dimensionen in Betracht, lautet eine Frage aus der IASS-Besuchergruppe. „Weil es Flachland ist und nur 150 Meter über dem Meeresspiegel liegt“, erklärt Thompson. Schon früher habe es hier Windmühlen gegeben, um das Korn der Bauern zu mahlen; eine dafür prädestinierte Region von jeher. Die Agrarbetreibenden hatten zu Beginn Angst, dass ihre Felder durch Wege zu den Windrädern zerteilt würden. Indem sie von Anfang an bei der Planungsphase beteiligt wurden, konnte das vermieden werden - so stieg die Akzeptanz.

Feldheim Schautafel Windturbinen
Schautafel, die das Prinzip der Windturbinen erklärt. IASS/ S. Letz

Ein weiterer, großer Meilenstein auf dem Weg zur Energieautarkie der Feldheimer und Feldheimerinnen: Der Solarpark Selterhof. Dies war ein ehemaliges 45 Hektar großes Militärgelände und diente 40 Jahre lang bis 1994 als Nachrichtenknoten und Depot. Bevor die Energiequelle GmbH auf dem Gelände einen Solarpark bauen konnte, übernahm sie zunächst den umweltgerechten Rückbau von 85 Gebäuden und einer Tankstelle. Mit dem Aufbau des Solarparkes konnte 2008 begonnen werden. Inzwischen erzeugen 9844 Photovoltaik-Module einen jährlichen Ertrag von rund 2700 Megawattstunden. Damit wird der jährliche Strombedarf von rund 600 Vier-Personen-Haushalten gedeckt.

Feldheim Photovoltaik und Windturbinen am Horizont
Eines der Photovoltaikmodule ist hier sichtbar im Vordergrund, welches sich alle 15 Minuten nach der Sonne ausrichtet und dadurch effizienter arbeitet. IASS/ S. Letz
Feldheim Biomasse
Biogasanlage, die mit Schweine- und Rindergülle gefüttert wird, aber auch mit Maissilage und Getreideschrot von den Agrarbetrieben vor Ort. IASS/ S. Letz
Feldheim Turm Turbine
Blick von unten hinauf in den Turm der Windturbine. IASS/ S. Letz

Die Gruppe pilgert schließlich gemeinsam über das Gelände, vorbei am großen Speicher für Energie, der Biomasseanlage, Photovoltaikmodulen bis zu einer Windturbine. Sie misst 149 Meter, ist von der Marke Enercon und mit dem Fahrstuhl würde die Fahrt nach oben eine Viertelstunde dauern, aber das Hochfahren im Turm ist nicht erlaubt, bleibt der Blick durchs Sicherheitsnetz nach oben ins Dunkle. Wer draußen unter der Turbine steht, muss staunen, wie leise sie doch ist (Video - quasi zum An- bzw. Nachhören). Im Maschinenraum wiederum sind Wörter kaum zu verstehen.

Feldheim Im Maschinenraum
Im Maschinenraum. IASS/ S. Letz

Der Ausflug nach Feldheim zeigt: Die Technologien sind vorhanden, sogar die Speicher, an denen es oft mangeln soll. Und im Vergleich mit ähnlichen Kommunen wie etwa Saerbeck in NRW oder Uckerland in Brandenburg wird deutlich, dass es oft das Engagement Einzelner ist, das ein solches Projekt der „Energiewende vor der Haustür“ vorantreibt, so dass es durch die Beteiligung der Menschen vor Ort eine hohe Akzeptanz, ja sogar Identifikation erreichen kann.

Jedoch eines waren diese Einzelnen wohl nie: zögerlich und von der Kategorie „man müsste mal“…

Feldheim Team Lilliestam
Die „Treibenden“ dieses Ausflugs: Das Forschungsteam „Energiewende und Public Policy“ mit Germán Bersali, Diana Süsser, Franziska Mey, Johan Lilliestam und Richard Thonig (v.l.n.r.). IASS/ S. Letz

Kommentare

Manfred Hennecke am 05.12.2022 - 18:12

Ihre Aussage "Die Technologien sind vorhanden, sogar die Speicher, an denen es oft mangeln soll." ist illusionär. Es nützt nichts, dass Stromspeichertechnologien (im Labormaßstab) vorhanden sind, wenn sie trotzdem nicht eingeführt werden können.
Bei Batterien kostet die kWh derzeit mindestens einige € (Sie nennen den Preis in Feldheim nicht) und für den deutschlandweiten Bedarf von ca. 20 TWh (für 2 Wochen) wird es nicht weniger werden. Die Batterien von hinreichend vielen (einige Millionen) Elektroautos würden für den Bedarf reichen, aber leider können wir dann nicht mehr fahren (die Autos müssten alle am Netz hängen).
Pump-Wasserspeicher sind zwar billiger (pro kWh) aber sie liefern Strom für weniger als 1 h und wir haben keinen Platz für Neubauten.
Am aussichtsreichsten ist aus heutiger Sicht noch die Gewinnung von Wasserstoff mittels Wasserelektrolyse aber auch das ist für die Rückverstromung viel zu teuer und auf viele Jahre (Jahrzehnte ?) wird der Wasserstoff für etwas anderes dringender benötigt.
Fazit: Das Beispiel Feldheim hilft der Politik leider nicht. Für Strom aus Wind und PV brauchen wir konventionelle Kraftwerke mit gleicher Leistung als back-up oder wir werden darben und die Industrie vertreiben (die es in Feldheim nicht gibt).
PS: Die Bauern waren seinerzeit froh, dass sie nicht mehr auf Windmühlen angewiesen waren.

Neuen Kommentar schreiben

Hier ist nur eine externe URL zulässig, z.B. http://example.com
CAPTCHA
v
R
K
u
v
C
W
6
B
j
Bitte geben Sie die Zeichenfolge ohne Leerzeichen ein.