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Headline: Strukturwandel: Junge Lausitzer Bevölkerung verstärkt einbinden

Es wird viel über den Strukturwandel gesprochen. Aber wie geht es denen, die sich mitten im Strukturwandel befinden? Jugendliche, die in der Ausbildung sind und bleiben wollen, sind besonders vom Kohleausstieg in der Lausitz betroffen. Ein Team des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) hat in Kooperation mit der Ausbildungsleitung des Braunkohleunternehmens LEAG eine Workshop-Reihe mit Auszubildenden durchgeführt. Heraus kamen Empfehlungen für Akteure aus Politik, Wirtschaft und Bildung.

Kraftwerk Schwarze Pumpe Lausitz
Die Auszubildenden in Schwarze Pumpe sind durchweg sehr zufrieden mit ihrem Lebensumfeld. Sie wollen bleiben. IASS/ S. Letz

Die nun vorliegende Studie basiert auf Workshops mit Auszubildenden in den Ausbildungsstätten Jänschwalde und Schwarze Pumpe. Die Hauptfrage war, wie sich Auszubildende in den Strukturwandel aktiv einbringen können, damit sie ihre Zukunft weiter in der Region sehen.

Drei Ergebnisse stellt das Team des IASS heraus:

  1. Verständliche und verbindliche Entscheidungen und Erklärungen sowie konkrete Nahziele im Strukturwandelprozess unterstützen die Auszubildenden, ihre eigenen Bewältigungsstrategien und Zukunftsaussichten zu entwickeln.
  2. Auszubildende brauchen Vertrauen, Anerkennung und Zeit für ihr regionales Engagement.
  3. Mehr Übungsräume und eine enge Begleitung ermöglichen es Jugendlichen, sich der eigenen Situation bewusst zu werden und unterschiedliche Positionen und Haltungen wahrzunehmen, auszuhalten und verhandeln zu können.

Ergebnisse der Workshops in Schwarze Pumpe und Jänschwalde:

Die Auszubildenden in Schwarze Pumpe sind durchweg sehr zufrieden mit ihrem Lebensumfeld und loben, dass sie dank ihrer Ausbildung bei der LEAG gute Voraussetzungen für den überregionalen Arbeitsmarkt mitbringen.

Sorgenvoll äußerten sich die Jugendlichen im Hinblick auf die Themen Arbeit, Familie und Armut. Ihnen macht nicht per se der Verlust ihres Arbeitsplatzes Angst, sondern für eine neue Arbeitsstelle aus der Region wegziehen zu müssen, Familie und Freunde weniger oft sehen zu können und zu schlechteren (finanziellen) Konditionen arbeiten zu müssen. Sie wollen bleiben.

Nicht zuletzt, weil sie aktiv in das Leben und die Jugendkultur vor Ort eingebunden sind.  Die IASS-Workshops haben den Jugendlichen die Gelegenheit gegeben, die Diskrepanz zwischen ihren abstrakten Sorgen einerseits und der großen Zufriedenheit und dem Engagement vor Ort andererseits, zu reflektieren und in konkrete Bewältigungsschritte zu übersetzen. Vor diesem Hintergrund ist eine Umfrage entstanden, die Sorgen und Hoffnungen von Auszubildenden im Strukturwandel abfragen soll.

In Jänschwalde wiederum haben die Auszubildenden politische Empfehlungen an die Landesregierungen formuliert, die an den politischen Diskurs anschlussfähig sind: Dazu zähle, dass sie ein gutes Leben in der Lausitz nicht nur mit einem neuen Industriearbeitgeber in Verbindung bringen, sondern ebenso mit einer starken lokalen Wertschöpfung.

Die Qualität künftiger Arbeit lasse sich nicht nur an einem angemessenen Gehalt ablesen, sondern ebenso an einer erfüllenden und vielfältigen Arbeit. Unklar sei ihnen die Verteilungsstrategie der Strukturfördergelder. Sie hoffen, dass auch das kulturelle Angebot erweitert und der ÖPNV klima- und bedarfsgerecht um- und ausgebaut werde.

Die Empfehlung der Jugendlichen:

  1. Die Landesregierungen Brandenburg und Sachsen sowie politische Entscheidungsgremien sollten darauf achten, dass bei Förderung und Finanzierung des Strukturwandels neue Industrien positive Effekte für lokale Betriebe schaffen.
  2. Die Landesregierung müsse darauf achten, dass mehr Klarheit herrsche über Prioritäten bei Förderung und Finanzierung des Strukturwandels.
  3. ÖPNV-Fahrpläne müssten entlang regionaler Bedarfe erarbeitet werden.
  4. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen vom Wandel profitieren und die Schere zwischen Arm und Reich dürfe nicht größer werden.

Fazit der IASS-Studie "Sie wollen bleiben":

Mit einem passenden Kommunikationsangebot können bisher nicht gehörte gesellschaftliche Gruppen ihre Meinungen und Haltungen artikulieren. Diese Perspektiven dienen als Grundlage, damit die politischen Zukunftspfade für die Region mit den Herausforderungen derjenigen verknüpft werden können, die ihr Leben auf einen regionalen Wandel einstellen müssen. Wie die Gruppe der Auszubildenden in der Lausitz zeigt, können dabei neue Perspektiven in gesellschaftliche Debatten eingebracht werden.

Während eines Strukturwandels ist es die Aufgabe regionaler Politik und der Bildungs- und Ausbildungsträger, diese Bedürfnisse und Fähigkeiten zu erkennen und zu strukturieren: Problembeschreibungen müssen in anschlussfähige Handlungsmöglichkeiten überführt werden. Transformative Forschung kann dabei – wie die Workshops zeigen – eine katalytische Rolle spielen.

Das Team des IASS empfiehlt zwei Prozessideen, um den Strukturwandel zu unterstützen und die Verbleibchancen von Jugendlichen zu stärken:

  • Die Einrichtung einer “Jugendkommission Strukturwandel in der Lausitz” mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Kommunen, Minderheiten-Gruppen, Religionsgemeinschaften, der Industrie, den Gewerkschaften und der Umweltbewegung. Sie soll Vorschläge einbringen, die von den Lausitzbeauftragten der Landesregierungen Sachsen und Brandenburg berücksichtigt werden.
  • Die Vernetzung von Bildungs- und Ausbildungsträgern mit lokaler Politik in einer regionalen Bildungslandschaft: Das Ziel soll sein, regionale Ausbildungs- und Karrierepfade zu konsolidieren, so dass Jugendliche in der Region bleiben können.


Publikation:

Victoria Luh, Julia Gabler, Jeremias Herberg: Sie wollen bleiben. IASS Workshops mit Auszubildenden in der Lausitzer Braunkohleindustrie, Potsdam 10/2020. DOI: 10.2312/iass.2020.037