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Headline: Bewusstsein schaffen, Barrieren abbauen: Was Wissenschaftseinrichtungen gegen Rassismus tun können

Die Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt in den USA haben eine neue Rassismus-Debatte entfacht. Auch in Deutschland durchdrängen rassistische Strukturen alle Lebensbereiche, einschließlich des Wissenschaftssystems, kritisierten Rassismusexpertinnen und -experten bei einer Online-Diskussion der Uni Potsdam und des IASS.

Teilnehmende der Diskussion "Rassismus im Wissenschaftssystem"
IASS

Im Zentrum standen Fragen wie: Welches Bewusstsein für Rassismus hat die deutsche Mehrheitsgesellschaft? Inwieweit reproduziert die Wissenschaft rassistische Denk-, Sprech- und Handlungsstrukturen? Wie kann es gelingen, dass mehr Schwarze und People of Color studieren und in der Forschung Karriere machen? Es diskutierten Aki Krishnamurthy (Referentin für Antirassismus und Empowerment an der Alice Salomon Hochschule Berlin, Empowermenttrainerin, Theater- und Tanzpädagogin), Karim Fereidooni, (Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung, Ruhr-Universität Bochum), Elisabeth Kaneza (Doktorandin Universität Potsdam, Gründerin Kaneza Foundation for Dialogue & Empowerment) und Angelo Camufingo (Masterstudent und AStA-Referent  Universität Potsdam, Trainer und Referent zu Rassismus und Bildung). Mark Lawrence, wissenschaftlicher Direktor am IASS, moderierte.

Breite Anerkennung struktureller Diskriminierung fehlt

Einig waren sich die Diskussionsteilnehmerinnen und –teilnehmer darin, dass es der deutschen Mehrheitsgesellschaft an Problembewusstsein fehle. „Wir haben eine Kommunikationsebene von Personen, die Rassismus erfahren haben oder erfahren und wissen, was Rassismus ist, und wir haben eine dominante Kommunikationsebene, die Mehrheitsgesellschaft, die nicht weiß, was Rassismus ist, und Rassismus nicht erfahren hat“, sagte Elisabeth Kaneza. Sie vermisse in Deutschland eine breite Anerkennung der Tatsache, dass es gruppenbezogene und strukturelle Diskriminierung gibt und dass deshalb gesellschaftspolitische Maßnahmen notwendig sind, die der Benachteiligung entgegenwirken. Ein Beitrag dazu könne eine einheitliche deutsche Definition von Rassismus sein. Derzeit nutze die Politik selbst in so grundlegenden Dokumenten wie dem 2017 verabschiedeten Aktionsplan gegen Rassismus Definitionen aus den USA und Großbritannien.

Diskriminierungskategorien überschneiden sich

Aki Krishnamurthy berichtete, dass sie als Ansprechpartnerin für rassismuserfahrene Studierende einen großen Zulauf erlebe. Sie sieht Benachteiligungen von schwarzen Studierenden und Studierenden of Color schon beim Hochschulzugang und später bei den individuellen Werdegängen. „Es gibt sehr viele Hürden im Alltag, Ausschlüsse, die in Seminaren produziert werden: Wie werden Entscheidungen getroffen im Seminar, wer kann sich entscheiden, ehrenamtlich ein Praktikum zu machen oder bei dieser Arbeitsgruppe noch mitzumachen? Das hat ja ganz viel mit bestimmten Lebensbedingungen zu tun.“ Daran werde auch deutlich, dass Rassismus intersektional gefasst werden müsse: Verschiedene Diskriminierungskategorien, wie Rasse, Klasse und Geschlecht, überschneiden sich.

Nicht-westliches Wissen wird marginalisiert

Auf die lange Tradition einer Marginalisierung nicht-westlichen Wissens an deutschen Hochschulen machte Angelo Camufingo aufmerksam: Wissenschaft werde oft fälschlicherweise als objektives Mittel der Erkenntnis aufgefasst, obwohl sie historisch durch die Ausgrenzung nicht-westlichen Wissens bestimmt worden sei. Forschende müssten sich stärker mit dieser Geschichte auseinandersetzen, „weil wir mit jeder Auslöschung, mit jedem Genozid, mit jedem Mord nicht nur eine Person oder ein Volk auslöschen, sondern eben auch deren Wissensbestand“.  Umso wichtiger sei es nun, die Curricula zu „dekolonialisieren“, um künftig allen Menschen die Möglichkeit zu geben, Wissen zu produzieren.

Rassismusforschende werden häufig als Betroffene wahrgenommen

Karim Fereidooni ging auf die Schwierigkeiten der Rassismusforschung ein, als Wissenschaft anerkannt zu werden. Zu häufig würden Rassismusforschende nicht als Expertinnen und Experten wahrgenommen, sondern als Betroffene. Wenn er wissenschaftliche Vorträge aus rassismuskritischer Perspektive halte, bewegten sich die Fragen im Anschluss häufig „auf Stammtischniveau“ – auch renommierte Professorinnen und Professoren täten sich schwer damit, analytisch über Rassismus zu sprechen. Stattdessen fühlten sie sich persönlich angegriffen. „Das sind Menschen, die von sich selber sagen, ich habe nichts mit Rassismus zu tun. Rassismus gibt es bei der AfD und bei der NPD, aber ich war noch nie rassistisch in meinem Leben.“ Er wünsche sich, dass Forschende offener dafür wären, eigene rassismusrelevante Wissensbestände zu identifizieren. Ein solches Engagement müsse sich auch in der Lebenspraxis, etwa in der Arbeit mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs, widerspiegeln.

Es gibt positive Entwicklungen

Trotz vielfältiger Herausforderungen sahen die Diskussionsteilnehmerinnen und –teilnehmer auch einige positive Entwicklungen für die Rassismusforschung und von Rassismus betroffene  Studierende. „Es gibt Bewegung, und heutzutage kann man viel leichter über Rassismus forschen als vor 20, 30 Jahren“, sagte Karim Fereidooni. Auch in den Hochschulstrukturen verändere sich etwas, ergänzte Aki Krishnamurthy. So wurden in den vergangenen Jahren an einigen Hochschulen, zum Beispiel der Alice Salomon Hochschule, Beratungsstellen für Schwarze Studierende und Studierende of Color geschaffen. Die Universität Potsdam widmet sich in den nächsten zwei Jahren im Rahmen des Diversity Audits „Vielfalt gestalten“ schwerpunktmäßig dem Thema Rassismus.

Mitschnitt:

Online-Diskussion: Rassismus im Wissenschaftssystem