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Headline: Ko-kreative Zusammenarbeit verbessert Energiemodelle

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung von Modellen für Energiesysteme. Werden die Modelle dadurch den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzenden aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft besser gerecht? IASS-Forschende ziehen in einer Studie eine gemischte Bilanz: Es gibt zwar Verbesserungen, aber um das Potenzial der Modelle zur Unterstützung der Energiewende voll zu nutzen, ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Modellierenden und Nutzenden notwendig.

Um das Potenzial von Energiemodellen voll zu nutzen, ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Modellierenden und Nutzenden notwendig.
Um das Potenzial von Energiemodellen voll zu nutzen, ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Modellierenden und Nutzenden notwendig. Shutterstock/Viktoria Kurpas

Modelle für Energiesysteme sind in den letzten Jahren immer komplexer geworden, sie berücksichtigen eine Vielzahl relevanter Aspekte, von den Kosten und klimarelevanten Emissionen über die Energieeffizienz bis hin zum Ressourcenverbrauch. Allerdings basieren die meisten Weiterentwicklungen darauf, was die Modellierenden für wichtig halten. Die Bedürfnisse der Nutzenden werden nur selten explizit berücksichtigt. Wie zufrieden sind diese mit den verfeinerten Energiemodellen? Um das herauszufinden, führten IASS-Forschende und Partnerorganisationen im Horizon-Projekt „Das Laboratorium für die nachhaltige Energiewende“ (SENTINEL) eine Literaturrecherche und europaweit 32 Interviews sowie eine Online-Umfrage durch.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich einige Verbesserungen bei neueren Energiemodellen sehen. Allerdings gibt es bei der Modellierung sozialer, verhaltensbezogener und politischer Aspekte dringenden Nachbesserungsbedarf“, erläutert Leitautorin Diana Süsser. Darunter fallen zum Beispiel Fragen des Lebensstils der Bevölkerung, der Akzeptanz des Ausbaus erneuerbarer Energien oder auch politische Dynamiken und Entscheidungen. Doch genau diese sozialen Belange der Energiewende werden in Modellen häufig nicht berücksichtigt, wie eine weitere, von Diana Süsser mitverfasste Studie zeigt.

Aus ihren Ergebnissen ziehen die Autorinnen und Autoren vier Schlussfolgerungen für die künftige Entwicklung und Verwendung von Modellen:

1. Energiemodelle sollten die Politik besser und frühzeitiger unterstützen. Sie sollten daher stärker auf die Auswirkungen von politischen Zielen und vor allem von Maßnahmen ausgerichtet sein. Frühere Studien haben gezeigt, dass Modelle zunehmend an Bedeutung gewinnen und zur Unterstützung der politischen Entscheidungsfindung auf europäischer, nationaler und kommunaler Ebene eingesetzt werden.

2. Modellierende haben kontinuierlich den Detaillierungsgrad, die Auflösung und die technische Präzision von Energiemodellen erhöht, etwa durch eine vielfältige Abbildung klassischer und innovativer Energietechnologien. Nun sollten sie ihr Augenmerk verstärkt auf soziale, politische und drängende ökologische Aspekte der Energiewende richten. Gerade die kombinierte Betrachtung dieser Faktoren kann die Relevanz der Modelle für einen nachhaltigkeitsorientierten und gesellschaftlich getragenen Umbau der Energieversorgung deutlich steigern.

3. Die Einbindung von Interessengruppen in den Modellierungsprozess ist oft vorteilhaft, um die Modelle tatsächlich an wichtige Herausforderungen und drängende Fragen anzupassen. Sowohl das Forschungsdesign als auch die Ergebnisauswertung sollten vermehrt ko-kreativ erarbeitet werden, da Relevanz und Nutzen der Modellierung für die Beteiligten dadurch steigen.

4. Open-Source-Modelle und Transparenz bei deren Entwicklung ermöglichen es Modellierenden und Nutzenden, unterschiedliche Bedürfnisse zu diskutieren und Vertrauen in die Energiemodelle aufzubauen. Modellierende könnten auch „Toy-Modelle“, also vereinfachte Versionen, entwickeln, die den Nutzenden ein grundlegendes Verständnis vermitteln, während sie gleichzeitig umfassendere, anspruchsvollere Versionen pflegen, kontinuierlich weiterentwickeln und bei Bedarf ebenfalls zur Verfügung stellen. Entscheidend ist, dass Komplexität und Verständlichkeit sorgfältig abgewogen werden müssen – und dies sollte idealerweise mit den Nutzerinnen und Nutzern gemeinsam entschieden werden.

„Wir sind sicherlich nicht die Ersten und nicht die Letzten, die eine stärkere Berücksichtigung sozialer und politischer Aspekte in Modellen fordern, aber unsere Arbeit zeigt empirisch, welche dieser Aspekte aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer besonders wichtig sind“, fasst Johan Lilliestam, der das Forschungsteam leitete, zusammen. Co-Autor Hannes Gaschnig ergänzt: „Energiesystem-Modelle bringen oft eine kostenoptimierte Welt als Ergebnis hervor. Das ist allerdings wenig relevant, wenn mangelnde Akzeptanz oder politische Entscheidungen dazu führen, dass man die Windparks gar nicht bauen kann. Modelle müssen explizit solche Faktoren berücksichtigen, damit die Ergebnisse Entscheidungen unterstützen können.“

Das IASS hat die Ergebnisse in einem englischsprachigen Bericht für das SENTINEL-Projekt und einem wissenschaftlichen Zeitschriftenartikel im Journal Energy, der die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Modellierenden und Nutzenden untersucht, veröffentlicht.

Süsser, D., Gaschnig, H., Ceglarz, A., Stavrakas, V., Flamos, A., Lilliestam, J., Better suited or just more complex? On the fit between user needs and modeller-driven improvements of energy system models, Energy, Volume 239, Part B, 15 January 2022, https://doi.org/10.1016/j.energy.2021.121909