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Headline: Gute Noten für Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“

Im Januar und Februar hat der Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“ getagt. 152 zufällig ausgeloste Menschen berieten in zehn Online-Sitzungen über außenpolitische Handlungsempfehlungen für Bundestag und Bundesregierung. Was lief gut, was muss verbessert werden? Welche Menschen nahmen teil und welche Auswirkungen hatte die Verfahrensgestaltung? Eine Auswertung dieser Fragen stellten am 20. Mai das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF) der Bergischen Universität Wuppertal und das IASS Potsdam vor.

Studioaufnahme des Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“.
Studioaufnahme des Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“. Mehr Demokratie/CC BY-SA 2.0

Das Team mit IASS-Direktor Ortwin Renn präsentierte Befunde aus quantitativen Erhebungen, begleitenden Beobachtungen, qualitativen Interviews und Befragungen der Durchführenden. Begleitend legte es eine Handreichung für die zukünftige Nutzung des Instruments vor. In sieben Empfehlungen geht es darum, wie Bürgerräte zukünftig stärker genutzt werden können, wie sie optimal ausgestaltet sein sollten und wie sie am besten verankert werden können:

(1) Institutionelle Einbettung

Um die politische Resonanz zu erhöhen und Anschlussfähigkeit zu schaffen, sollten politische Akteure auf verschiedenen Ebenen sowie die zuständigen Fachverwaltungen im gesamten Prozess involviert sein. Dies wurde im Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" hervorragend gelöst. Diese Einbettung ist auch notwendig, um langfristig die Erreichung der Empfehlungen in einem komplexen Themenfeld zu ermöglichen.

(2) Gesellschaftliche und mediale Anbindung

Die mediale Resonanz auf den Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" war erheblich. Besonders der Prozess als Instrument für Bürgerbeteiligung stand im Fokus der Berichterstattung. Lediglich im Nachgang war demgegenüber die inhaltsorientierte mediale Resonanz weniger stark ausgeprägt. Eine größere Sichtbarmachung der Sacharbeit und ihrer Ergebnisse wären wünschenswert gewesen.

(3) Hohe Meinungsvielfalt

Die Gruppe an zufällig ausgewählten Teilnehmenden sollte möglichst pluralistisch repräsentativ sein, um die Meinungsvielfalt in den Debatten, das Potenzial für unterschiedliche Standpunkte sowie die Vielfalt des Meinungsspektrums abzubilden. Dies erreichte der Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" sowohl hinsichtlich demografischer Faktoren als auch mit Blick auf die politische Selbsteinordnung der Teilnehmenden. Über die Diversität der Teilnehmenden hinaus bedarf es jedoch der systematischen Abbildung vielfältiger und kontroverser Meinungen in den Debatten, um das Deliberationspotential im Sinne der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Argumenten zu erhöhen.

(4) Geeignete Themenwahl und Schwerpunktsetzungen

Das vom Ältestenrat des Bundestages in Auftrag gegebene Thema "Deutschlands Rolle in der Welt" war zu weit und in seinen Aspekten teilweise zu unspezifisch gefasst. Dadurch ließ sich die Relevanz zur Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger schwer vermitteln. Demgemäß fielen die Diskussionen häufig wenig kontrovers aus. Die Konkretisierung auf bestimmte, für die Teilnehmenden „greifbare“ Dilemmata wäre hier äußerst hilfreich gewesen.

(5) Geeignete Einbindung von Expertise

Die Einbindung von Expertinnen und Experten ist bei jedem Themenfeld wichtig. Beim Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" fand sich mit Blick auf die systematische Auswahl und die inhaltliche Ausrichtung eine diverse Besetzung an Expertinnen und Experten. Die Sichtweisen in ihren Vorträgen waren allerdings häufig wenig kontrovers und die Qualität ihrer Vorträge unterschied sich bisweilen erheblich. Um dem vorzubeugen, sollten sowohl bei der Auswahl der Expertinnen und Experten als auch bei Vortragsform und -inhalt diverse, wenn angebracht und möglich auch kontroverse, Sichtweisen als Leitkriterium dienen.

(6) Ausgeprägte Deliberationskultur

Eine Deliberationskultur, die sich inklusiv, fair, respektvoll und informiert gestaltet und in einem ausreichenden Zeitrahmen stattfindet, erhöht den inhaltlichen und diskursiven Kompetenzgewinn für die Teilnehmenden (Empowerment). Beim Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" bildet die Deliberation einen integralen Bestandteil des Formats und es wurde ein systematisches thematisches Empowerment (Capacity Building) für die Teilnehmenden betrieben. Wichtig waren besonders Gesprächsregeln und ausgeglichene Redeanteile, ebenso wie die effektive und zielorientierte Strukturierung der Debatten durch die Moderation.

(7) Angemessene Ressourcenverteilung

Der Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" wurde unter Zeitdruck und unter den Bedingungen der Pandemie geplant und durchgeführt. Daher musste ein hohes Maß zeitlicher und personeller Ressourcen auf die digitale Herausforderung sowie die thematische und methodische Operationalisierung verwendet werden. Darüber hinaus war der gesamte Prozess zivilgesellschaftlich finanziert, wodurch der finanzielle Spielraum entsprechend volatiler war als dies bei einer institutionalisierten Förderung der Fall wäre. Eine geeignete Form der Institutionalisierung sowie festgelegte Prozesse bezüglich der Rahmenbedingungen können hier einen erheblichen Mehrwert leisten.

Alles in allem kommen die Evaluatorinnen und Evaluatoren zu dem Schluss, dass der Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" die wesentlichen Bedingungen für eine neue Form inklusiver Bürgerbeteiligung auf nationaler Ebene erfüllt und zugleich auch einen erfolgreichen Prototyp für einen digitalen Bürgerrat darstellt.

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