Europa sichern heißt Klima schützen – Neuer Policy Brief stellt Weichen für 1,5°-Lebensstile
08.05.2025
Forschungsergebnisse zeigen breite Unterstützung in der Bevölkerung – Forderung an Politik: Nachhaltige Lebensstile konsequent ermöglichen und fördern

Mit Blick auf die zunehmenden geopolitischen Spannungen und die eskalierende Klimakrise fordert ein neuer Policy Brief, Klimapolitik als integralen Bestandteil europäischer Sicherheitsstrategie zu verankern. Der Bericht „1,5°-Lebensstile durchsetzen: Nachhaltige Sicherheit durch Klimapolitik“, entstanden im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „1.5° Lifestyles“, wurde heute vom RIFS veröffentlicht.
Er argumentiert: Bürgerinnen und Bürger in Europa sind bereit, tiefgreifende Veränderungen mitzutragen – vorausgesetzt, die politischen Rahmenbedingungen sind fair, verlässlich und ambitioniert.
Derzeit dominieren Themen wie Wirtschaftswachstum, industrielle Wettbewerbsfähigkeit und Verteidigung die politische Agenda. Doch wer Klimaziele heute zur Nebensache erklärt, gefährdet Europas langfristige Resilienz, Stabilität und Demokratie. Die Botschaft des Berichts ist klar: Klimapolitik ist keine Zugabe – sie ist Voraussetzung für dauerhafte Sicherheit.
„Wirtschaftliche und militärische Sicherheit sind wichtige Bestandteile“, sagt Professorin Doris Fuchs, wissenschaftliche Direktorin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) am GFZ. „Aber wenn wir den Klimawandel und den ökologischen Verfall nicht jetzt bekämpfen, untergraben wir die Grundlagen von Frieden und Wohlstand. Ein realistischer Sicherheitsbegriff muss auch Klimaresilienz, soziale Gerechtigkeit und ein Leben innerhalb planetarer Grenzen umfassen.“
Gesellschaftlicher Rückhalt trifft auf politische Zaghaftigkeit
Entgegen der verbreiteten Annahme, dass Menschen tiefgreifende Lebensstiländerungen ablehnen, zeigen die Ergebnisse des EU-Projekts „1.5° Lifestyles“ ein anderes Bild: In allen untersuchten Ländern sprechen sich Bürgerinnen und Bürger für ambitionierte Maßnahmen aus – sofern diese gerecht und wirksam gestaltet sind. Gefragt sind klare Rahmenbedingungen, die klimaschädlichen Konsum regulieren, Verantwortung fair verteilen und nachhaltige Alternativen attraktiver machen.
Freiwilligkeit allein reicht nicht mehr. Der Bericht fordert gezielte Regulierung emissionsintensiver Bereiche – etwa bei fossilen Fahrzeugen, übermäßigem Fleischkonsum, ineffizienten Heizsystemen, Luxus-Emissionen und häufigem Kurzstreckenflugverkehr. Gleichzeitig müssten klimafreundliche Optionen – von ÖPNV über Wärmepumpen bis zu pflanzlicher Ernährung – zur bequemeren und günstigeren Wahl werden.
Deutschland im Fokus: Fortschritt mit Widerständen
Für Deutschland zeigt der Policy Brief ein ambivalentes Bild: In puncto Wohnen und Mobilität braucht es mehr öffentliche Infrastruktur. Während Wärmepumpen auf breite Zustimmung stoßen, fehlt diese beim Thema Wohnflächenverkleinerung. Dabei liegt die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf bereits bei 45 m² (Stand 2015) – Tendenz steigend.
Besonders auffällig ist die Ablehnung gegenüber E-Autos – deutlich stärker als in anderen untersuchten Ländern wie Spanien, Schweden, Lettland oder Ungarn. Das dürfte nicht zuletzt an der einflussreichen deutschen Automobilindustrie liegen. Insgesamt hatte Deutschland 2015 mit 9,5 t CO₂e pro Kopf die höchste durchschnittliche Emissionsbilanz der untersuchten Länder – ein Befund, der politischen Mut und Konsequenz verlangt.
Stattdessen widerspricht die weiterhin laufende Förderung von Erdgas allen klimapolitischen Zielen. Nötig sind politische Instrumente, die nachhaltige Lebensstile ermöglichen und gleichzeitig nicht nachhaltige Praktiken gezielt zurückdrängen.
Sechs politische Kernempfehlungen
Der aus den Studienergebnissen entstandene Policy Broef formuliert sechs konkrete Handlungsempfehlungen:
- Lebensstile in Klimapolitik integrieren
Nationale und europäische Klimastrategien müssen über technologische Lösungen hinausgehen und klimaschädliche Konsummuster direkt adressieren. - Nachhaltigkeit zum Standard machen
Der Staat sollte massiv in öffentliche Infrastruktur investieren – etwa in bezahlbaren ÖPNV, energieeffizientes Wohnen und gesunde Ernährungssysteme. - Gerechtigkeit als Leitprinzip verankern
Regulierungen müssen soziale Ausgewogenheit gewährleisten und Beteiligung ermöglichen. - Politische Konsistenz zeigen
Halbherzige Botschaften und schwammige Gesetze gefährden das Vertrauen der Bevölkerung. - Wohlbefinden neu definieren
Fortschritt darf nicht am Bruttoinlandsprodukt gemessen werden, sondern an Gesundheit, Gerechtigkeit und sozialem Zusammenhalt. - Demokratische Teilhabe stärken
Bürgerinnen und Bürger wollen den Wandel mitgestalten. Transparente und inklusive Prozesse sind entscheidend für gesellschaftlichen Rückhalt.
Wissenschaftlicher Rückenwind
Mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trafen sich jüngst im schwedischen Lund, um über Wege zur sozial-ökologischen Transformation zu beraten. In seiner Keynote bekräftigte Nachhaltigkeitsexperte Tim Jackson: Eine lebenswerte Zukunft sei möglich – sie verspreche Vorteile für Mensch und Umwelt. Aber sie erfordere die Abkehr von Wachstum als leitende Priorität.

Über das EU 1.5° Lifestyles-Projekt
In den vergangenen vier Jahren hat das Projekt wertvolle Einblicke in nachhaltiges Leben und konkrete Handlungsmöglichkeiten zur Erreichung der Klimaziele geliefert. Mit einem Fokus auf Mobilität, Wohnen, Ernährung und Freizeit bieten aus dem Projekt hervorgegangene Studien umsetzbare Lösungen, die auf die Bedürfnisse der fünf untersuchten Länder abgestimmt sind. Im letzten Jahr des Projekts liegt der Schwerpunkt auf der gemeinsamen Entwicklung maßgeschneiderter Empfehlungen mit Stakeholder*innen und der Bereitstellung praktischer Werkzeuge für den Wandel.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website des EU 1.5° Lifestyles-Projekts.
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