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Headline: Demokratie und Nachhaltigkeit – ein angespanntes Verhältnis? Symposium zu Ehren Klaus Töpfers

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wissenschaft geraten zunehmend unter Druck. Wie können wir sie verteidigen? Wie nutzen wir unser Wissen, neue Technologien, Innovationskraft und Reichtum, um das Ziel der nachhaltigen Entwicklung – ein gutes Leben für alle – zu erreichen? Anlässlich des 80. Geburtstags des ehemaligen Bundesumweltministers und IASS-Gründungsdirektors Klaus Töpfer luden das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das IASS am 21. November zum Symposium „Freunde der offenen Gesellschaft“ ein.

Klaus Töpfer gilt auch mit 80 Jahren noch als wichtiger Kopf in der deutschen und internationalen Nachhaltigkeitsszene.
Klaus Töpfer gilt auch mit 80 Jahren noch als wichtiger Kopf in der deutschen und internationalen Nachhaltigkeitsszene. Photothek | Inga Kjer

Zu Beginn begrüßten Patrizia Nanz, geschäftsführende Direktorin des IASS, und Alexander Müller, Geschäftsführer des TMG Think Tanks for Sustainability, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und bedankten sich für das rege Interesse. Das Symposium solle einen Beitrag dazu leisten, dem kurzfristigen Denken langfristige Strategien entgegenzusetzen.

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, wünschte sich in ihren einleitenden Worten, das Symposium möge ein „Töpferkurs“ sein: Klaus Töpfers Ansatz, „wissenschaftliche Erkenntnisse mit politischem  Handeln zusammenzubringen, ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je“, sagte die Ministerin. Unser aller Engagement sei gefragt, um die offene Gesellschaft zu verteidigen. Klaus Töpfer habe eine „Sozialverträglichkeitsprüfung“ für neue Technologien gefordert, heute müsse eine „Demokratieverträglichkeitsprüfung“ dazukommen. Die Wissenschaft spiele eine wichtige Rolle, liefere sie doch die Grundlage aus Wissen und Fakten, die eine öffentliche Debatte erst möglich mache. In diesem Sinne fördere das Ministerium Bildung und Forschung zum Klimawandel, bei dem es sich um den größten Umbruch in unserer Geschichte handele. Karliczek: „Mit dem Ende des Steinkohlebergbaus geht eine 500-jährige Geschichte zu Ende.“ In diesem Strukturwandel gehe es darum, „Ideen statt Kohle zu fördern“. Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung seien kein Widerspruch, Wachstum entstehe heute auch aus neuen Ideen und durch Bildung. „Die menschliche Kreativität kennt keine Grenzen“, so die Ministerin.

„Politik, die wenig tut, führt zu einer Gesellschaft, die wenig denkt.“

Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der „Zeit“,  beschrieb in seinem Beitrag die Konjunktur des Themas Ökologie. Für eine Weile galt die Ökologie als Luxusthema, die öffentliche Debatte war stark auf das Thema Migration und Flucht fixiert. „Diese Fixierung bricht jetzt auf“, sagte Ulrich, weil sich die ökologischen Krisenzeichen häuften und der Klimawandel mit diesem Sommer auch in Europa spürbar geworden sei. Ulrich: „Wir sind im Zeitalter der Ökologie angekommen.“ Der Klimawandel und die Anpassung an diesen Wandel werde das 21. Jahrhundert prägen. Der aufkommende Autoritarismus richte sich zwar aggressiv gegen die Ökologie, aber dies rufe auf der anderen Seite eine starke Gegenbewegung hervor. Das Thema trete ins Zentrum, die Politik werde aktiver. Dies sei wichtig, denn „Politik, die wenig tut, führt zu einer Gesellschaft, die wenig denkt“.

Lisa Herzog, Professorin an der Hochschule für Politik in München, ging in ihrer Keynote auf verschiedene Logiken für die Generierung von Wissen ein. Wissen könne nach einer Logik des Gemeinwohls oder nach einer Logik des Eigeninteresses behandelt und betrachtet werden. Erstere orientiere sich an den Bedürfnissen der Gesellschaft, letztere richte sich nach individuellen Profitinteressen. „In diesem Kräftefeld muss Wissenschaft sich positionieren“, sagte Herzog. „Sie kann nicht passiv bleiben.“ Sie dürfe jedoch nicht auf das platonische Modell der Politikberatung durch „Philosophenkönige“ setzen. Wissenschaftliches Wissen sei nur eine Form von Wissen, wichtig sei, im Austausch mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu sein. „Ein Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern ist gefragt, im vollen Bewusstsein der Grenzen, aber auch der Unverzichtbarkeit wissenschaftlicher Methoden.“

„Widersprüche aushalten, unterschiedliche Meinungen ertragen“ – für eine lebendige Demokratie

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Lisa Herzog, Thomas Bauer (Professor am Institut für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Münster), Robert Habeck (Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen) und William K. Reilly (ehemaliger Leiter der US-Umweltschutzbehörde) stand die Frage im Mittelpunkt, wie wir den Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft, aber auch der Staatengemeinschaft fördern können. Thomas Bauer sagte, dass unsere Fähigkeit abnehme, mit Widersprüchen umzugehen und Vagheiten auszuhalten. Genau das aber sei eine grundlegende Fähigkeit für eine lebendige Demokratie: „Die Fundamente müssen relativ klar sein, aber innerhalb dieses Rahmens gilt es Widersprüche auszuhalten, unterschiedliche Meinungen zu ertragen.“ Die „einfachen Antworten“ dürften nicht die Dominanz über den politischen Diskurs haben, stimmte Robert Habeck zu. Politiker und Wissenschaftler sollten die Werte der Aufklärung, wie das Infragestellen der eigenen Position, energischer vertreten. Dazu böten sich die ökologischen Fragen an, denn diese könnten nur gemeinsam gelöst werden.

Jürgen Renn (Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte) sprach in seiner Keynote über die Chancen und Risiken technologischer Innovationen. Wir könnten uns nicht darauf verlassen, dass sich Probleme durch technische Innovationen von selbst lösten, betonte er. Als Beispiel nannte er Climate-Engineering-Technologien: Die Rufe, dass es ohne bewusste Eingriffe ins Klima nicht mehr geht, würden immer lauter. Jedoch werde die Herausforderung häufig unterschätzt: „Die Erde ist ein komplexes, nicht linear gekoppeltes, biophysikalisches System. Nun sind auch die globale Gesellschaft und ihr beschleunigtes Wachstum zu einem wesentlichen Faktor in der Dynamik dieses Systems geworden. Das ist ein nicht zu unterschätzender Paradigmenwechsel in der Geschichte des Wissens. Wir, also die Menschen mit ihren ungleich verteilten Machtmöglichkeiten, greifen in ein System ein, das wir noch kaum verstanden haben.“ Wir hätten zu wenig Wissen, und verschiedene Wissensarten würden in der Praxis oft voneinander getrennt. Die Demokratisierung von Innovationsprozessen sei deshalb kein lästiges Anhängsel, sondern eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg von Innovationen.

Über den Umgang mit technologischen Innovationen diskutierten anschließend Matthias Kleiner (Präsident der Leibniz-Gemeinschaft), Christiane Grefe (Redakteurin der „Zeit") und Petra Grimm (Leiterin des Instituts für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien Stuttgart). Sie waren sich einig, dass es oft an einer hochwertigen und differenzierten Informationsvermittlung mangele. „Manches aus den Debatten der Digitalisierung hat eine gefährliche Wirkung, wenn es so rüberkommt, als müssten wir uns retten. Digitalisierung ist etwas Menschengemachtes und wir müssen darüber diskutieren, was wir wollen und was wir nicht wollen“, sagte Matthias Kleiner. Notwendig seien neue Narrative, die die Frage des Sinns von Fortschritt und Innovation in den Vordergrund stellten, ergänzte Petra Grimm.

Flexibel im Denken bleiben – mit Karl Popper

Zum Abschluss hatte der Jubilar selbst das Wort: Klaus Töpfer brachte seine Freude zum Ausdruck, dass so viele Weggefährtinnen und Weggefährten aus seinen unterschiedlichen Lebensphasen zu dem Symposium erschienen waren. Das Thema sei treffend gewählt, denn er habe seit Studienzeiten immer wieder Inspiration aus den Schriften des Philosophen Karl Popper geschöpft, der den Begriff der offenen Gesellschaft prägte. Besonders wichtig finde er Poppers Ersetzung des Verifikationsprinzips durch das Falsifikationsprinzip. Dadurch habe Popper darauf aufmerksam gemacht, dass der Mensch nie bei vollkommener Information Entscheidungen trifft. „Wenn das so ist, muss er sich doch eigentlich darauf einstellen, dass er etwas übersehen hat und daraus etwas Negatives folgt“, sagte Töpfer.

Eine Konsequenz dieser Haltung für die heutige Nachhaltigkeitspolitik sei, dass wir nicht ein- und dieselbe Technologie flächendeckend einsetzen, sondern dezentrale Strukturen entwickeln sollten. Dass Technologien, die in den Industriestaaten gut funktionieren, für afrikanische Länder häufig keine passende Lösung seien, habe er während seiner Zeit als Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Afrika erlebt. Für die nachhaltige Entwicklung unseres Planeten, der bald neun Milliarden Menschen zu tragen hat, sei es wichtig, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die zu den regionalen Gegebenheiten passen.

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•    Programm
•    Keynote von Bundesministerin Anja Karliczek