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Headline: Debatte über Negativemissions-Technologien muss offener werden

Die aktuellen Pläne der Weltgemeinschaft zur Emissionsreduzierung reichen nicht aus, um die Klimaerwärmung einzudämmen. Viele Regierungen erwägen daher zusätzlich den Einsatz von „Negativemissions-Technologien“, also Technologien, die das CO2 aus der Atmosphäre entfernen und speichern. Eine neue Studie zeigt Strategien auf, um die derzeitige Debatte offener und umfassender zu führen. Das Ziel sind verantwortungsvolle Regeln für den Einsatz der neuen Technologien.

Zuviel CO2 ist in der Atmosphäre – ist es eine Lösung, die Emissionen technisch zu entfernen?
Zuviel CO2 ist in der Atmosphäre – ist es eine Lösung, die Emissionen technisch zu entfernen? istock/Olivier Le Moal

Um den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, dürfen bald netto gar keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. Konkret heißt dies, dass die verbleibenden Restemissionen dadurch ausgeglichen werden, dass der Atmosphäre CO2 entzogen wird. Auch das Pariser Klimaabkommen sieht „den Ausgleich von Emissionsquellen und -senken in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts“ vor. Aktuell sind diese Technologien weit davon entfernt, einsetzbar zu sein.

Ökonomische und politische Machbarkeit im Vordergrund

Welche Akteure und Interessen die Debatte über Negativemissions-Technologien (NETs) prägen, hat Einfluss auf die Entwicklung einer verantwortungsvollen Regulierung der entstehenden Technologien. Die Autorin Miranda Boettcher untersuchte den Diskurs über NETs  in Großbritannien – einem der wenigen Länder mit einer relativ weit entwickelten Debatte – auf der Grundlage von Interviews mit Repräsentantinnen und Repräsentanten aus Politik und Industrie. „Dabei ging es mir darum, zugrundeliegende Denkweisen und Strukturen aus individuellen Aussagen herauszuarbeiten“, erläutert die Politikwissenschaftlerin. Im Zentrum stand die Frage, welche Politikinstrumente die Interviewten für geeignet halten, um die Entwicklung und den Einsatz von NETs zu steuern.

Der Analyse zufolge wird die Debatte geprägt von drei verschiedenen Diskursen: einem politischen Diskurs, der politische Klimaziele in den Mittelpunkt stellt, einem wirtschaftlichen Diskurs, der NETs-Ansätze nach funktionalen Kriterien wie dem Kosten-Nutzen-Verhältnis beurteilt, und einem ethischen Diskurs, der auf einen deliberativen Entwicklungsprozess, auf rationale Argumente und soziale Akzeptanz setzt. Generell stehen Überlegungen zu ökonomischer und politischer Machbarkeit und Nutzen im Vordergrund. Ethische Überlegungen und Fragen der Gerechtigkeit wurden von den Befragten zwar mehrfach erwähnt, aber nicht als ausschlaggebend für die Debatte dargestellt.  

Breitere Debatte notwendig für verantwortungsvolle Governance

Boettcher identifiziert in der NETs-Debatte dieselben Macht- und Wissensstrukturen, die in der Klimapolitik im Allgemeinen vorherrschen. Das sei problematisch, weil in der Klimapolitik nur sehr langsam Fortschritte erzielt werden. Dieselbe Gefahr bestehe bei der Regulierung von NETs. Darüber hinaus könnte die Hoffnung auf neue technologische Lösungen in der Klimapolitik die Dekarbonisierung der Gesellschaft weiter verlangsamen.

Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die prägenden Auswirkungen des Diskurses auf die Entwicklung von Politikmaßnahmen stärker anzuerkennen. „Das Abbilden der Diskursstruktur hilft sich bewusst zu machen, welche Arten von Wissen in der aktuellen Debatte möglicherweise fehlen, und könnte in Beratungsprozesse einfließen, mit dem Ziel, die Governance-Entwicklung verantwortungsvoller und unter Einbindung weiterer Interessengruppen zu gestalten“, sagt Boettcher. So könne verhindert werden, dass die Regulierung von Negativemissions-Technologien von denselben ökonomischen und machtpolitischen Dynamiken  geprägt wird, die bereits jetzt eine engagierte Klimapolitik behindern.

Link:

Boettcher, M., Coming to GRIPs With NETs Discourse: Implications of Discursive Structures for Emerging Governance of Negative Emissions Technologies in the UK, Frontiers in Climate, 30 November 2020, https://doi.org/10.3389/fclim.2020.595685