Akteurs fokussierte Sprache in Unfallberichten erhöht Unterstützung für Sicherheitsmaßnahmen
13.10.2025
In Deutschland gab es 2024 durchschnittlich acht Tote und fast 1000 Verletzte pro Tag bei Verkehrsunfällen. Dennoch stellen Journalistinnen und Journalisten Verkehrsunfälle häufig als isolierte Ereignisse dar und spielen dadurch Probleme mit der Infrastruktur herunter. In einem Experiment mit 1537 Teilnehmenden testete Dirk von Schneidemesser vom RIFS und Hugo Caviola von der Uni Bern die Wirkung von drei Versionen einer fiktiven Nachrichtenmeldung. Die Ergebnisse zeigen, dass eine präzisere Sprache und mehr Kontextinformationen in der Verkehrsberichterstattung die öffentliche Unterstützung für Sicherheitsmaßnahmen erhöhen können.

Die drei Varianten der Meldung unterschieden sich in ihrer Wortwahl, ihrem Fokus und darin, ob sie Kontextinformationen enthielten oder nicht, etwa zur Kollisionshäufigkeit, der erlaubten Höchstgeschwindigkeit und der Straßenführung am Ort der Kollision. Die Unterschiede wirkten sich darauf aus, wie die Leserinnen und Leser den Vorfall wahrnahmen und wem sie die Verantwortung zuwiesen.
In der ersten Variante, angelehnt an die „journalistische Standardsprache“, lautete die Überschrift der untersuchten Meldung „Fußgänger von Auto erfasst – tot“. Das Unfallopfer steht darin im Mittelpunkt, das Verb wird in der Passivform verwendet. Diese Tendenz setzt sich in der Meldung fort: Sie ist eher am Opfer orientiert, die Verantwortung des Autofahrers ist kein Thema, auch infrastrukturelle Gegebenheiten wie Straßenführung und geltende Höchstgeschwindigkeit spielen keine Rolle. Anstelle des Fahrenden wird das Fahrzeug genannt. In der Rhetorik wird dieses sprachliche Mittel als Metonymie bezeichnet. Es verlagert den Fokus weg vom Handelnden.
In der zweiten, Akteurs fokussierten Variante der Meldung hingegen wird der Handelnde klar benannt. „Autofahrer fährt Fußgänger an – tot“ lautet die Überschrift. Die Leserinnen und Leser wiesen hier dem Fahrenden eher Verantwortung zu. Der Schwerpunkt lag jedoch weiterhin auf dem einzelnen Vorfall, ohne einen breiteren systemischen Kontext zu berücksichtigen.
Eine dritte Variante fokussiert sich auf den Akteur und gibt zusätzlich Kontext: „Autofahrer fährt Fußgänger an – schon fünf getötete Fußgänger in diesem Jahr“. Die Meldung enthält weitere Kontextinformationen, etwa zu häufigen Geschwindigkeitsüberschreitungen und dem Fehlen eines Fußgängerüberwegs an der Stelle. Dies führte dazu, dass die Leserinnen und Leser dem Fahrenden eine große Verantwortung und Faktoren wie Infrastruktur und Umweltbedingungen eine erhebliche Rolle zuschrieben.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Umstellung von einer opferorientierten zu einer handlungsorientierten Sprache die Zuweisung der Verantwortung an Fußgänger reduzierte, nämlich von 49 auf 44 Prozent. Durch Hinzufügen von Kontextinformationen wurde dieser Effekt noch verstärkt: Die Zuweisung der Verantwortung an den Fußgänger sank auf 33 Prozent. „Sprachmuster in deutschsprachigen Verkehrsunfallberichten – darunter die Benennung des Fahrzeugs anstelle des Fahrzeuglenkers, Passivkonstruktionen, reflexive Verben und das Fehlen von Kontextinformationen – verlagern offenbar die wahrgenommene Verantwortung systematisch auf schwächere Verkehrsteilnehmer“, sagt Studienautor Dirk von Schneidemesser vom RIFS. Umgekehrt sahen die Leserinnen und Leser bei den Akteurs fokussierten Textvarianten den Autofahrer stärker in der Verantwortung.
Die Forschenden fragten die Teilnehmenden nach ihrer Unterstützung für infrastrukturelle Veränderungen und Kampagnen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. „Die Antworten zeigen, dass Kontextinformationen die Unterstützung für strukturelle Maßnahmen wie breitere Gehwege und Fußgängerüberwege an der Stelle von Stellflächen verstärken. Gleichzeitig sinkt die Popularität von kommunikationsbasierten Kampagnen, die an das individuelle Verhalten appellieren“, sagt von Schneidemesser. Eine klare, präzise Sprache in der Verkehrsberichterstattung könne also die öffentliche Unterstützung für bewährte strukturelle Sicherheitsmaßnahmen erhöhen.
Publikation:
von Schneidemesser, D., & Caviola, H. (2025). Language matters: an experimental study of language patterns’ effects on traffic safety perceptions in Germany. Traffic Safety Research, 9, e000106. https://doi.org/10.55329/oyoz9269
Weitere Informationen:
• von Schneidemesser, D., Bettge, S. S., Caviola, H., Sedlaczek, A., Reisigl, M., Schindler, F., & Wirz, M. (2025). How linguistic patterns obscure responsibility in newspaper coverage of traffic crashes in German-speaking countries: an interdisciplinary study. Mobilities. http://doi.org/10.1080/17450101.2025.2534634
• Caviola, H., Reisigl, M., Sedlaczek, A., Schindler, F., von Schneidemesser, D., Wirz, M., & Janssen, I. (2025). Unfallsprache - Sprachunfall: Leitfaden zur Berichterstattung über Kollisionen im Verkehr. RIFS Brochure.
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Dr. Bianca Schröder
