„Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“ – Zum Zusammenspiel von Demokratie und Nachhaltigkeit
17.12.2025
„Wir brauchen den Pessimismus des Verstandes und den Optimismus des Willens.“ Mit diesem Zitat vom italienischen Philosophen Antonio Gramsci, das ursprünglich auf den französischen Humanisten und Literaten Romain Rolland zurückgeht, schloss Jürgen Trittin seine Keynote. Dieses Plädoyer, die Welt zu sehen, wie sie ist, und gleichzeitig den Mut aufzubringen, daran zu glauben, dass sie besser, nachhaltiger sein kann, bringt nicht nur die Haltung vieler Transformationswissenschaftler*innen, die auf der RIFS-Konferenz 2025 versammelt waren, auf den Punkt, sondern auch die inhaltliche und methodische Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von Demokratie und Nachhaltigkeit.
Dieser Blogpost ist Teil einer Serie über die RIFS-Konferenz 2025, "Tough Conversations in Tough Times" (Schwierige Gespräche in schwierigen Zeiten).
Die Frage, ob und wie Demokratie und Nachhaltigkeit vereinbar sind, wird in der Wissenschaft parallel zu der Verschärfung sozial-ökologischer Herausforderungen immer lauter diskutiert. Während pessimistischere Positionen von einer grundlegenden Unvereinbarkeit der beiden Konzepte ausgehen – manchmal bis hin zur vollständigen Aussetzung normativer Ideale der Demokratie zugunsten ökologischer Nachhaltigkeit – basieren optimistischere Perspektiven auf der Annahme, dass das derzeitige Versagen demokratischer Prozesse bei der Bewältigung von Nachhaltigkeitsproblemen nicht etwa auf ein Zuviel, sondern viel eher auf ein Zuwenig an Demokratie zurückzuführen. Demokratie kann viele unterschiedliche, mal eher konflikthafte, mal stärker dialogorientierte Ausdeutungen haben, doch im Kern heißt Demokratie immer eines: kollektive Praktiken der Selbstregierung. Auch wenn sich der Begriff mal auf Regierungsformen, mal auf Formen des Zusammenlebens bezieht, impliziert Demokratie im Kern stets einen Prozess, durch den Bürger*innen letztendlich zu den Autor*innen der Ideen werden, die Gesellschaften leiten.
Nachhaltigkeit hingegen ist einerseits substantieller Natur, insofern sie darauf ausgerichtet ist, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, und daher die Einhaltung sozialer und ökologischer Grenzen vorsieht. Andererseits sind die genauen Wege, auf denen sich Nachhaltigkeit entfalten kann, fundamental offen. Die Verständigung auf Nachhaltigkeitsvisionen erfordert also inklusive demokratische Prozesse, um die Idee einer nachhaltigen Gesellschaft, eines guten Lebens für alle mit Bedeutung zu füllen. Demokratie ist in diesem Sinne nicht nur als potentiell hilfreiches Instrument zum Erreichen von Nachhaltigkeitszielen zu betrachten. Vielmehr kann eine sozial und ökologisch nachhaltige Gesellschaft nur eine demokratische sein.
Zahlreiche Wissenschaftler*innen, die diese optimistische Haltung gegenüber der Rolle der Demokratie für Nachhaltigkeit teilen, waren auf der Konferenz versammelt, und sprachen vor allem über eines: Probleme. Herausforderungen. Leerstellen. Was kennzeichnet die Krisen von liberaler Demokratie und von Nachhaltigkeit? Wie sind sie verbunden? Was können demokratische Innovationen für Nachhaltigkeitstransformationen leisten und was eben nicht? Wie lassen sich abstrakte normative Ideale der Demokratie überhaupt in konkrete, handfeste Prozesse „on the ground“ übersetzen? Wie gefährdet Populismus sowohl Demokratisierung als auch Nachhaltigkeitsbestrebungen? Wie kann eine gerechte, demokratische Transformation gelingen, wenn mächtige Akteure vom Fortbestand ungerechter Strukturen profitieren? Diverse Panels und Vorträge legten ihren Fokus auf derartige Überlegungen. Es zeigte sich: Pessimismus des Verstandes.
Demgegenüber standen Präsentationen und Diskussionen, in denen Demokratie als Rahmen angenommen wurde, als gegeben, als selbstverständlich. Um es klar zu sagen: Zahlreiche Konzepte, Ideale und Anforderungen sind von Bedeutung für eine sozial-ökologische Transformation und nicht jede Auseinandersetzung muss notwendigerweise das Zusammenspiel von Demokratie und Nachhaltigkeit beleuchten. Aus der Perspektive der Politikwissenschaftlerin stellen jedoch die Konferenzbeiträge, die dies bewusst getan haben, eines deutlich heraus: Demokratie ist niemals selbstverständlich. Ebenso wie die Überlastung sozialer und planetarer Grenzen ein gutes Leben für alle gefährdet, entzieht Nicht-Nachhaltigkeit auch der Demokratie ihre Grundlagen.
Demokratische Systeme basieren darauf, Gemeinwohl und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Sie werden jedoch ihrer Legitimität beraubt, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, grundlegende Lebensbedingungen zu gewährleisten. Ebenso wie nachhaltige Gesellschaften notwendigerweise auch demokratisch sind, erfordert auch die Demokratie für ihr langfristiges Fortbestehen Nachhaltigkeit. Gleichzeitig kommt die Demokratie nicht einfach so mit. Demokratie bedeutet kollektive Selbstregierung. Das ist ein aktiver, komplexer Prozess, der durch Institutionen, Prozeduren, Praktiken kontinuierlich am Leben gehalten werden muss. Wenn demokratische Bürger*innen die Autor*innen ihrer kollektiven Selbstverwaltung sind, dann braucht es eben auch die Aktivität, das Streiten, das Sprechen, das Beharren ebendieser Bürger*innen, damit Demokratie demokratisch bleibt – und eben auch, damit Nachhaltigkeit demokratisch ausgestaltet werden kann. Als Wissenschaftler*innen über Transformation nachzudenken und zu diskutieren sollte vor diesem Hintergrund auch immer heißen, an Demokratie zu glauben und sie aktiv zu kultivieren. Es zeigte sich: Optimismus des Willens.
Meine Erwartung an die RIFS-Konferenz war, dass wir Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen, die dort versammelt waren, sie mit kritischem Geist angehen und mit demokratischer Zuversicht und Hoffnung verlassen. Aus meiner Sicht braucht es stets beides, Hand in Hand. Ein kritischer Geist, intellektueller Pessimismus, ist essentiell, um die Herausforderungen dieser „harten Zeiten“, die Gefährdung von Demokratie und Nachhaltigkeit und die Spannungen dazwischen, analytisch klar zu fassen. Hoffnung für die Demokratie, Optimismus des Willens, ist demgegenüber jedoch keine blinde Naivität. Es ist eine disziplinierte und mutige Haltung, die es ermöglicht, sich mit herausfordernden Realitäten auseinanderzusetzen und dennoch an der Möglichkeit einer sozial-ökologischen Transformation festzuhalten.
Dieser Blogbeitrag speist sich vordergründig aus der Session „Root Causes and Remedies: Exploring Interrelations Between the Crises of Democracy and Sustainability“, einem darin vorgestellten Paper von Lea Becker, Lars Berker und Doris Fuchs (derzeit unter dem Titel “Pursuing the transformation towards 1.5° societies in times of polarisation”), das voraussichtlich 2026 im Journal “Sustainability: Science, Practice and Policy” erscheint, sowie Überlegungen zum methodologischen Selbstverständnis der Politiktheoretikerin im Kontext von Demokratie und Nachhaltigkeit im Zuge der Promotion von Lea Becker.
