Stellungnahme zur Auflösung der Stabsstelle für Bürgerräte
27.11.2025
Die Stabsstelle für Bürgerräte im Bundestag wurde aufgelöst. Parlamentspräsidentin Julia Klöckner begründet dies mit dem Argument, Bürgerräte führten zu einem Machtverlust des Parlaments. Am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit kommen wir zu einem anderen Befund: Bürgerräte können gerade dort Orientierung bieten, wo sich politische Entscheidungsprozesse festgefahren haben, weil scheinbar unüberwindbare Gegensätze bestehen.
In unserem Forschungsschwerpunkt zu demokratischem Regieren und Handeln haben wir zahlreiche Bürgerratsprozesse begleitet sowie Interviews mit Bürger:innen, Verwaltungsmitarbeitenden und politischen Entscheidungsträger:innen geführt. Wir kommen zu dem Schluss, dass Bürgerräte als beratende, sachorientierte Gremien die Handlungsspielräume politischer Akteure erweitern – und nicht einschränken, wie Frau Klöckner dies suggeriert.
Bürgerräte arbeiten formalisiert, qualitätsgesichert und dialogisch: Zufällig geloste Bürger:innen befassen sich intensiv mit einer Fragestellung, hören Expert:innen und Betroffene an und entwickeln auf dieser Grundlage Empfehlungen. Am Ende stehen Vorschläge – nicht Entscheidungen. Diese verbleiben eindeutig beim Parlament, denn hierfür fehlt Bürgerräten zu Recht die demokratische Legitimation.
Gleichzeitig berichten Politikerinnen und Politiker immer wieder, dass dialogische Bürgerbeteiligung ihnen Erkenntnisse liefert, die sie über Umfragen und Medien nicht bekommen haben, z.B. zu Fragen wie: Welche Themen haben im Alltag tatsächlich Bedeutung? Welche Lösungen finden in einer divers zusammengesetzten, repräsentativen Gruppe mehrheitsfähige Unterstützung?
Ein oft zitiertes Beispiel für dieses Potenzial ist der irische Verfassungskonvent (2012–2014), der sich zu zwei Dritteln aus gelosten Bürger:innen und zu einem Drittel aus Politiker:innen zusammensetzte. In einer Phase politischen Vertrauensverlusts gelang es dem Konvent, weitreichende Verfassungsreformen vorzubereiten – etwa zu Ehe- und Abtreibungsrecht. Obwohl im Parlament bereits stabile Mehrheiten existierten, scheiterten Verständigungen zuvor an der Erwartung massiven öffentlichen Widerstands (Suiter, Farrell & Harris, 2016). Der Konvent trug somit nachweislich zur Stärkung demokratischer Prozesse bei.
Weitere Forschungsergebnisse sprechen ebenfalls klar für Bürgerräte, denn:
- Bürgerräte erhöhen das Problembewusstsein und die Qualität politischer Debatten.
- Sie stärken demokratische Selbstwirksamkeitserfahrungen der Beteiligten.
- Sie bauen Brücken zwischen sehr unterschiedlichen Perspektiven.
- Sie geben Parlament und Regierung Hinweise auf gesellschaftliche Mehrheiten, die in klassischen Konsultations- oder Lobbyprozessen oft unsichtbar bleiben.
Bottom Line: Bürgerräte bedeuten keinen Machtverlust für das Parlament, sondern stellen eine demokratische Ergänzung mit klar umrissener Rolle dar. Sie tragen zu Orientierung, Legitimität und erweiterten Handlungsspielräumen in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung bei.
Weitere Infos zu Bürgerräten und unserer Forschung dazu finden Sie in unserem Dossier „Bürgerräte“.
