Klimagerechtigkeit beginnt am Flussufer
13.11.2025
In Barcarena, einer kleinen Stadt am Ufer des Murucupi-Flusses im brasilianischen Bundesstaat Pará, befindet sich die Quilombola- und Indigenen-Gemeinde Gibriés de São Lourenço im Zentrum eines tiefgreifenden Wandels. Hier erzählt die Landschaft eine Geschichte, die im gesamten Amazonasbecken widerhallt. Vor vierzig Jahren gab es hier am Flussufer eine bescheidene Gemeinschaft von ein paar tausend Menschen. Heute leben hier Zehntausende von Menschen, und die Skyline der Stadt wird von Schornsteinen, Silos und Schiffsschornsteinen dominiert - die unverkennbaren Symbole eines Bergbaumodells, welches das Land und das Leben seiner Bewohner weiterhin prägt.
Das Gebiet beherbergt eine Reihe von Unternehmen der Schwerindustrie: Hydro Alunorte (Bauxitraffination), Albrás (Aluminiumproduktion) und den riesigen CDP-Hafenkomplex, von dem aus Schiffe Soja, Fleisch und Mineralien auf die Weltmärkte exportieren. Die ständige Durchfahrt von Frachtschiffen - oft warten 30 oder mehr Schiffe auf ihre Beladung - hat den Rhythmus des Flusses und das Leben der Menschen verändert. Die Industrialisierung von Barcarena begann in den späten 1970er Jahren, als Arbeiter wie Maurício - ein Taxifahrer aus Minas Gerais, der „nur sechs Monate bleiben wollte und schließlich sechs Jahre blieb“ - beim Bau der Aluminiumwerke halfen. Diese Industrien versprachen Entwicklung und Wohlstand, doch was sie hinterließen, waren Verschmutzung, Ungleichheit und ein tiefer Bruch in der Beziehung der Gemeinschaft zum Fluss.
„Das Wasser ist nicht mehr dasselbe“, sagt der altgediente Gemeindevorsteher Válter Santos, der inzwischen siebzig ist. „Vor dreißig Jahren gab es nur den Fluss und die Ribeirinhos (Flussuferbewohner). Heute gibt es hier Schiffe, Container, Vieh und Getreide. Das von den Schiffen abgeleitete Ballastwasser bringt invasive Arten aus Asien mit sich. Das Ökosystem ist aus dem Gleichgewicht geraten. Was einst unsere Heimat war, ist heute ein Industriekorridor.“
Trotz dieses Drucks schaffen die lokalen Gemeinschaften weiterhin neue Formen des Lebens und des Widerstands. Viele Gemeindemitglieder nehmen an Aktivitäten im Zusammenhang mit der UN-Klimakonferenz (COP) im nur 15 Kilometer entfernten Belém teil (eine Stunde Fahrt mit dem Boot). Wie Válter Santos sagt: „Es ist wichtig, dass die Menschen auf der COP sehen, was hier geschieht, damit wir einen anderen Weg einschlagen können.“ Eine dieser Aktivitäten ist Floresta Digital, ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit der DW Academie und der in Pará ansässigen Gesundheits-NGO Saúde e Alegria durchgeführt wird und darauf abzielt, die Gemeinden im Amazonasgebiet durch lokale Netzwerke und Radio miteinander zu verbinden. Das Projekt Abelhas e Flores (Bienen und Blumen) entstand, als die Bewohner feststellten, dass die Bäume keine guten Früchte mehr trugen. Die Initiative fördert die Bienenzucht, um die Bestäubung anzuregen und das Gebiet zu schützen, und verbindet so die ökologische Wiederherstellung mit der Verteidigung traditioneller Ländereien.
Was in Barcarena geschieht, ist kein Einzelfall - es ist ein Mikrokosmos eines viel umfassenderen Musters. Überall im Amazonasgebiet werden neue Abbau- und Infrastrukturprojekte unter dem Banner der „Entwicklung“ vorangetrieben. Das Megaprojekt Ferrogrão, eine 933 km lange Eisenbahnverbindung, die den sojareichen Bundesstaat Mato Grosso über den Atlantik mit den Weltmärkten verbinden soll, bedroht die Rechte der Gemeinden und wird die Abholzung im Tapajós- und Xingu-Becken vorantreiben. Der Ausbau der Sojahäfen in Santarém und die Wiederbelebung von Autobahnen wie der BR-319 folgen derselben Logik, die die jahrhundertelange Ausbeutung des Amazonasgebiets kennzeichnet: der Behandlung des Waldes als Ressourcengrenze und nicht als lebendiges Territorium. Der prominente Quilombola-Führer, Philosoph, Schriftsteller, Dichter und politische Aktivist Antônio Bispo dos Santos (alias Nêgo Bispo) hat ebenfalls argumentiert: „Der Kolonisierungskrieg ist territorial.“ Die anhaltende Transformation des Amazonasgebiets - von Kautschuk zu Wasserkraft, von Bergbau zu Soja - ist eine Erweiterung dieser kolonialen Logik.
Nach Angaben des Council on Foreign Relations hat das brasilianische Amazonasgebiet in den letzten fünfzig Jahren etwa ein Fünftel seiner Waldfläche verloren - etwa 300.000 Quadratmeilen. Jedes neue Projekt fügt sich in eine lange Tradition der „Entwicklung“ ein, deren Vorteile nur selten die am meisten betroffenen Gemeinden erreichen. Die Kosten - Abholzung, Verschmutzung, Vertreibung und Klimaanfälligkeit - werden in vollem Umfang von der lokalen Bevölkerung getragen. Die Geschichte von Barcarena erinnert uns daran, dass Klimagerechtigkeit untrennbar mit epistemischer und territorialer Gerechtigkeit verbunden ist. Der Kampf gegen den Klimawandel kann nicht gewonnen werden, wenn er dieselben extraktiven Muster reproduziert, die ihn verursacht haben. Um noch einmal mit Nêgo Bispo zu sprechen: „Der Staat ist ein Zug, der auf den Schienen des Kolonialismus fährt. Entweder man baut ein anderes Gleis, oder man landet am selben Ort - egal, wer der Schaffner ist.“

