Beziehungsorientierte Führung als Hebel: Eine transdisziplinäre Zusammenarbeit für klimabezogenen Wandel in der Wirtschaft
01.08.2025
„Es fühlte sich an, als wären wir endlich eine Herde grüner Zebras – frei, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind, mit all dem Mut und der Verletzlichkeit, die uns als Klimaprofis auszeichnen.“
Verfasst von F. Beyers, I. Amorim, J. Kwan und T. Bruhn
So hat ein Teilnehmer des „Head of Climate Base Camp“ im Jahr 2024 den einzigartigen Raum beschrieben, den er dort vorfand – einen Raum, in dem Verletzlichkeit ebenso Platz fand wie Strategie; wo die Diskussion um Klimaziele eingebettet war in authentische zwischenmenschliche Beziehungen. Viele Teilnehmende nannten die Bedingungen für den Aufbau eines tiefen Vertrauens zu zuvor unbekannten Kolleginnen und Kollegen aus potenziell konkurrierenden Organisationen als entscheidenden Faktor für Gespräche, die schnell eine gewisse Tiefe und Komplexität der diskutierten Themen ermöglichten und gleichzeitig konkrete Maßnahmen der Teilnehmenden in ihren jeweiligen Kontexten ermöglichten. Die laufende Zusammenarbeit zwischen dem RIFS und dem World Business Council on Sustainable Development (WBCSD) veranschaulicht den praxisorientierten Forschungsansatz des RIFS zum transdisziplinären Prozesswissen für die effektive Bewältigung komplexer Nachhaltigkeitsherausforderungen.
Navigieren durch den Klimawandel in fragmentierter Landschaft
Unternehmen stehen heute unter steigendem Druck, mit dem Klimawandel umzugehen. Von Netto-Null-(„Net Zero“-) Versprechen bis hin zu Berichtspflichten – das externe Umfeld verändert sich rasant. Innerhalb der Unternehmen bewegen sich Klimaverantwortliche jedoch oft in einem komplexen Terrain zwischen isolierten Abteilungen, falsch ausgerichteten Anreizen und dem unsichtbaren Gewicht des „Business as usual“.
Vor diesem Hintergrund haben der WBCSD und das RIFS im Jahr 2022 eine experimentelle und transdisziplinäre Zusammenarbeit ins Leben gerufen. Das Ziel dieser Kooperation ist es zu untersuchen, ob und wie ein Ansatz für Klima-bezogene Leadership als Hebel für einen beschleunigten Wandel dienen kann, ist das Ziel – nicht nur innerhalb einzelner Organisationen, sondern sektor- und systemübergreifend.
Das „BaseCamp“: Aufbau vertrauensvoller Beziehungsdynamiken für Wandel
Die dritte Ausgabe des „Head of Climate Base Camp“ im Jahr 2025 brachte kürzlich Führungspersonen aus den Verantwortungsbereichen Klima und Nachhaltigkeit aus global führender Unternehmen aus verschiedenen Branchen in einem eigens dafür konzipierten und moderierten Rahmen für vier Tage am RIFS in Potsdam zusammen.
Unter Berücksichtigung des hohen Maßes an Fachwissen der Teilnehmenden, wurde die Veranstaltung entlang verschiedener Formate für Gespräche in kleinen Gruppen, intensives Zuhören und Dialog sowie Reflexionspraktiken und informellen Austausch strukturiert. Die gewählten Formate förderten dabei parallel zum inhaltlichen Diskurs den Aufbau von Vertrauen und starke persönliche Beziehungen für ein effektives kollegiales Lernen. Außerdem wurden externe Gastrednerinnen und -redner (im Jahr 2025 vom Greenhouse Gas Protocol und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) in ein interaktives Format eingebunden, das die Impulse der Referierenden mit konkreten Herausforderungen der Teilnehmenden verknüpfte.
Das Design basierte auf transdisziplinärer Gruppenmoderationskompetenz und der Theorie komplexer Systeme, inspiriert von den Hebelpunktkonzepten („leverage points“) für Transformation, die Donella Meadows in ihrem Konzept zur Adressierung tiefer liegender Ebenen systemischer Veränderungen vorgeschlagen hat.
- Auf persönlicher Ebene wurde versucht, Motivationen und Anliegen anzusprechen, indem Räume für authentische Verbindungen und reflektierenden Dialog geschaffen wurden – um so Veränderungen in der eigenen Denkweise, Identität und Beziehungsfähigkeit zu unterstützen.
- Auf organisationaler Ebene zielte es darauf ab, Einfluss auf Hebelpunkte auf mittlerer Ebene wie interne Feedbackschleifen und strukturelle Ausrichtung zu nehmen, damit Klimaverantwortliche ihre Rolle als Vermittler zwischen strategischer Vision und operativer Umsetzung reflektieren und verfeinern konnten.
- Auf systemischer Ebene förderte das Format sektorübergreifende Feedback-Schleifen und vertrauensbasierte Netzwerke und eröffnete damit neue Wege für die Zusammenarbeit im Bereich der Nachhaltigkeitsgovernance. Auf diese Weise diente die Veranstaltung als Designintervention und legte den relationalen Grundstein für transformative Führung und koordiniertes Handeln.
Und tatsächlich tat sich etwas: Die gemeinsamen Mahlzeiten, Gesprächsrunden und teils spielerischen Aktivitäten legten den Grundstein für das, was die Teilnehmenden später als „Community of Practice“ bezeichneten. WhatsApp-Gruppen und Buddy-Paare entstanden. Ideen für Folgeanrufe und organisationsübergreifende Projekte nahmen Gestalt an. Plötzlich fanden sich Klimaverantwortliche, die sich oft isoliert und von der Komplexität ihrer Herausforderungen überwältigt gefühlt hatten, in einer Konstellation von Gleichgesinnten wieder, die mit ähnlichen Spannungen konfrontiert und bereit waren, sich gegenseitig zu unterstützen.
Vom Dialog zur organisatorischen Wirkung
Obwohl jedes Base Camp nur wenige Tage dauerte, waren die Auswirkungen der ersten beiden Versionen weitreichend. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten, dass sie mit neuer Klarheit in ihre Unternehmen zurückkehrten – nicht nur in Bezug auf ihre Strategien, sondern auch darauf, wie sie andere „mitnehmen“ können. Ein wichtiges Thema bei dieser dritten Auflage des Base Camps waren die sich wandelnden gesellschaftlichen, politischen und organisationalen Rahmenbedingungen für die Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit. Es wurde festgestellt, wie wichtig es ist, die grundlegenden Narrative zu kontrollieren und gleichzeitig Ziele neu zu definieren. Es erschien überraschend, dass Nachhaltigkeitsziele unter dem Druck standen, langfristig zuverlässig zu sein (Ziele für 2030 oder sogar darüber hinaus), während andere Unternehmensziele üblicherweise vierteljährlich geändert werden. Viele Klimaverantwortliche sahen sich als Übersetzer zwischen hochgesteckten Zielen und der Umsetzung im Alltag. Das Base Camp bot ihnen die Möglichkeit, über ihre Rolle nicht nur als Umsetzer, sondern auch als Akteure eines kulturellen Wandels nachzudenken. Viele Teilnehmende äußerten, dass sie mehr Vertrauen in ihre Rolle gewonnen hätten, als auch Wertschätzung dafür, pragmatisch zu sein, anstatt Nachhaltigkeit in einem geschäftlichen Kontext aus moralischer Perspektive zu „verkaufen”.
Die vertrauensvolle Atmosphäre, die mehrere Teilnehmende halb scherzhaft als „Gruppentherapie” bezeichneten, wurde allgemein als Schlüssel zum Erfolg des Base Camps anerkannt. Die transdisziplinäre Prozessarchitektur, um den Beziehungsaufbau zu fördern, insbesondere am ersten Tag des Treffens, schuf eine Atmosphäre, in der sich alle wohl genug fühlten, um offen mit allen anderen über die Kernprobleme der verschiedenen Herausforderungen zu sprechen. Die Teilnehmenden konnten zum Ausdruck bringen, was ihnen NICHT klar war oder wo sie NICHT erfolgreich waren, und sich dadurch direkt der Bearbeitung der wirklich wesentlichen technischen, organisationalen und persönlichen Aspekte der Herausforderungen widmen. Dabei stellten sie oft fest, dass die Natur ihrer Herausforderungen bemerkenswert ähnlich oder über verschiedene Sektoren und Organisationen hinweg miteinander verbunden war.
Ein Faktor für diesen schnellen Vertrauensaufbau war die Tatsache, dass mehrere Teilnehmende (etwa 25 Prozent) bereits zum zweiten Mal dabei waren. Personen, die die erste Version im Jahr 2023 wertgeschätzt hatten, schickten 2024 einen ihrer Kollegen, um eine Grundlage für gemeinsame Aktivitäten in ihren Unternehmen zu schaffen, und kehrten nun selbst zum zweiten Mal zurück, um ihre Erfahrungen zu vertiefen. Darüber hinaus enthieltdas Programm in diesem Jahr eine Session, an der Alumni, die in diesem Jahr nicht persönlich teilnehmen konnten, online teilnehmen konnten. Es schien ganz selbstverständlich, wie die Gruppe der Live-Teilnehmenden die Online-Alumni sofort schnell und natürlich integrierte, als wären sie bei den vorherigen Gesprächen dabei gewesen.
Die dritte Auflage des Base Camps war auch ein weiterer Schritt im Lernprozess des Moderationsteams, das sich aus Forschenden des RIFS (Thomas Bruhn) und Mitarbeitenden des WBCSD (Jenny Kwan) zusammensetzte. Unter Einbeziehung der Perspektiven beider gastgebenden Organisationen „tanzte” das Moderationsteam zwischen von Neugier getriebener Reflexion („Forschung”/Vertiefung) und handlungsorientierter Konkretisierung („Business”/Handeln). Beide Moderierenden identifizierten sich mit beiden Aspekten der Prozessarchitektur und bewegten sich flexibel zwischen den sich ändernden Bedürfnissen der Gruppe, manchmal langsamer, manchmal schneller, manchmal in kleinen Gruppen, um Details zu erarbeiten, manchmal in großenr Gruppe, um einen Austausch zwischen allen zu ermöglichen und die verschiedenen Gesprächsstränge miteinander zu verknüpfen. In Bezug auf die Prozessbegleitung erforderte dies ein hohes Maß an Flexibilität und eine sorgfältige Navigation zwischen dem kontinuierlichen Erfassen und Anpassen an die Bedürfnisse der Gruppe sowie dem gleichzeitigen Verfolgen des Gesamtablaufs und der Ziele des Prozesses. Das kontinuierliche Lernen in der transdisziplinären Konstellation des Moderationsteams bleibt ein zentraler Aspekt des Base Camp-Formats und unterstützt die Wissensintegration zwischen den Teilnehmenden – in diesem Fall zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Medien
WBCSD Head of Climate Base Camp 2025

Systemdenken, zwischenmenschliche Beziehungen
Auf einer breiteren Ebene hat das Base Camp sektorübergreifende Allianzen ins Leben gerufen. Neue Kooperationen entstanden – nicht durch formelle Vereinbarungen, sondern durch gemeinsame Ziele und persönliches Vertrauen. Themen wie interne CO2-Bepreisung oder Scope-3-Emissionen kristallisierten sich als gemeinsame Herausforderungen heraus, bei denen eine Zusammenarbeit sinnvoll war. Wichtig ist, dass es bei diesen Netzwerken nicht darum ging, mehr Bürokratie zu schaffen. Wie ein Teilnehmer es ausdrückte: „Wir brauchen keine zehn Anwälte, um Dinge zu formalisieren. Wir brauchen Menschen, die sich engagieren und in Kontakt bleiben.“ Die fortgesetzte Nutzung informeller monatlicher Telefonkonferenzen zum gegenseitigen Lernen scheint eine Wertschätzung für verteilte Führung und agile Koordination zu zeigen. Diese Dynamik deckt sich mit früheren Forschungserkenntnissen aus anderen Wirtschaftsbereichen – wie der Textilindustrie –, in denen langfristige Zusammenarbeit nicht nur von institutionellen Vorgaben abhängt, sondern auch von zwischenmenschlichem Vertrauen und informeller Governance (Beyers 2024).
Führung von innen heraus
Die vielleicht tiefgreifendsten Erkenntnisse waren persönlicher Natur. Viele Teilnehmende sprachen von einem Umdenken: von vorwiegend technischen Experten zu relationalen Führungskräften. Sie begannen, den Wert ihrer Präsenz in ihren Organisationen zu erkennen – Brücken zu bauen, Engagement zu fördern, mit Herz und Strategie zu führen. Dieser Wandel berührt das, was Meadows als tiefgreifenden Hebelpunkt bezeichnet: die Absicht. Sie ist nicht leicht zu messen, aber in Meadows' Vorstellung prägt sie alles. Nachdem die Teilnehmenden sich mit ihren tieferen Anliegen auseinandergesetzt hatten, beschrieben sie, dass sie sich gestärkt, verbundener und besser in der Lage fühlten, mit Komplexität umzugehen und Veränderungsprozesse anzunehmen, anstatt sich ihnen zu widersetzen. Ein Teilnehmer fasste es so zusammen: „Ich wollte schon immer etwas bewegen. Jetzt sehe ich, wie ich das tun kann, indem ich ganz ich selbst bin – in Beziehungen, im Dialog, im Handeln.“
Auf dem Weg zu einer neuen Erzählung von Klima-bezogener Leadership
Unserer Meinung nach war das jährliche Base Camp nicht nur eine „Veranstaltung“. Es war ein Impuls in einem größeren systemischen Kontext – eine Wette auf die Idee, dass die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, darüber entscheidet, wie wir Veränderungen gestalten können. Das Base Camp weist darauf hin, dass Investitionen in Beziehungsdynamiken – in Vertrauen, Authentizität und tiefes Zuhören – einer der am meisten unterschätzte Hebel für den Umgang mit dem Klimawandel in der Wirtschaft sein könnten.
Angesichts der sich verändernden Klimapolitik ist es vielleicht an der Zeit, neu darüber nachzudenken, was Führung wirklich bedeutet. Nicht nur Strategien und Pläne, sondern Menschen in Beziehungen, die angesichts komplexer Veränderungen Mut, Klarheit und Verbundenheit finden. Die sorgfältige Gestaltung von Beziehungsräumen kann dabei eine wichtige Rolle spielen.
Ein Aspekt (und ein Thema für weitere Forschung) bleibt die Untersuchung, wie die Ergebnisse des Base Camps zu weiteren Veränderungsprozessen in den verschiedenen Organisationen beitragen. Oft ist es schwierig, die Erkenntnisse aus intensiven Zusammenkünften wie dem Base Camp in den unterschiedlichen organisatorischen Kontexten umzusetzen. Allzu leicht können die Inspiration und Energie einer Konferenz unter der überwältigenden Arbeitslast des „Alltags“ ersticken. Das RIFS wird daher weiterhin die Auswirkungen von Aktivitäten und Interventionen wie dem Base