Headline: Quo Vadis, Klimastreik?

Klimastreik in Berlin
Klimastreik in Berlin Shutterstock/Rolf G Wackenberg

Vor vier Jahren eroberte die von Schüler:innen angeführte Klimastreikbewegung die Welt im Sturm. Seither ist der Klimastreik ein fester Bestandteil im Repertoire der Klimabewegung. Doch trotz Millionen Teilnehmenden konnten die Massenproteste bislang keine zufriedenstellenden politischen Zugeständnisse erwirken. Das stellt die Bewegung vor ein strategisches Dilemma: Was heißt es überhaupt, inmitten einer Klimakrise zu streiken?

Mit erstaunlicher Geschwindigkeit ist die Klimastreikbewegung zu einer der bedeutendsten sozialen Bewegung unserer Zeit avanciert. Nach der Gründung der ersten Fridays-for-Future-Gruppe im Herbst 2018 gelang den Schüler:innen innerhalb weniger Monate, was selbst erfahrene Aktivist:innen bis dato nicht vermocht hatten: eine anhaltende und weltweite Massenbewegung für Klimagerechtigkeit auf die Beine zu stellen. Auf dem Höhepunkt des ersten Mobilisierungszyklus im September 2019 beteiligten sich mehr als sechs Millionen Menschen an Klimastreik-Aktionen. Viele hofften damals, dass sich aus den Schulklimastreiks eine breiter angelegte Streikbewegung entwickeln würden. Eine Stockholmer Fridays-for-Future-Organisatorin etwa wünschte sich in den Anfangstagen der Bewegung: „Es wäre großartig, wenn ganz Stockholm in den Streik treten würde. Wenn wir die Gewerkschaften auf unsere Seite bekommen. Wenn alle Bankangestellten nicht zur Arbeit gehen. Dann gäbe es ein Problem.“

Die Umstände erwiesen sich jedoch als etwas komplexer. Fridays for Future zeigte sich zunächst nicht in der Lage, erfolgreich Teilnehmer:innen auch jenseits des bürgerlichen städtischen Milieus zu mobilisieren, aus dem die Bewegung entstanden war. Während progressive NGOs, grüne Parteien und sogar eine Reihe von Unternehmen sich in vielen Ländern schon früh hinter die Proteste stellten, fielen die Reaktionen von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen wie der antirassistischen Bewegung kritischer aus. Die politische Reaktion auf die Proteste hingegen beschränkte sich auf eine Reihe symbolischer Klimanotstandserklärungen seitens Regierungen, Unternehmen und Universitäten – verbale Zugeständnisse, die nur selten zu tatsächlichen Eingriffen in die fossile Wirtschaft führten. Die Emissionen stiegen weiter an. Entsprechend resümierte Greta Thunberg Ende 2019: „Wir haben viel erreicht, aber wenn man es von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet, haben wir auch nichts erreicht.“ Wenig später brachte die Coronavirus-Pandemie die erste Klimastreikwelle zum Stillstand.

Neue Sprache, alte Praxis

Es wäre jedoch ein Fehler, den globalen Klimastreik vorschnell als ein gescheitertes strategisches Experiment abzuschreiben. Viele bedeutende Entwicklungen in der Bewegung begannen gar erst während der Pandemie. So stießen die #BlackLivesMatter-Proteste von 2020 und die Diskussionen über die Verteilung von Impfstoffen wichtige interne Debatten über Klimagerechtigkeit, Kapitalismus und das Fortleben kolonialer Kontinuitäten in der Weltordnung an. Im vergangenen Jahr übernahmen Aktivist:innen aus dem globalen Süden unter der Selbstbezeichnung MAPA („most affected people and areas“) die globalen Kommunikationskanäle der Bewegung. Seither nehmen Gerechtigkeitsfragen im Messaging der Bewegung eine zentrale Rolle ein. In einem vielbeachteten Aufruf im September 2021 schrieb Fridays for Future:

„Die Klimakrise existiert nicht in einem Vakuum. Andere sozioökonomische Krisen wie Rassismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit, Klassenungleichheit und andere verstärken die Klimakrise und umgekehrt. Es handelt sich nicht nur um ein einzelnes Thema, sondern unsere verschiedenen Kämpfe und Befreiungen sind miteinander verbunden und verflochten. Wir sind vereint in unserem Kampf für Klimagerechtigkeit, aber wir müssen auch anerkennen, dass nicht alle die gleichen Probleme haben und sie auch nicht im gleichen Ausmaß erleben. MAPA (Most Affected Peoples and Areas) erleben die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise und sind nicht in der Lage, sich an sie anzupassen. Das liegt an der Elite des globalen Nordens, die die Zerstörung des Landes der MAPA durch Kolonialismus, Imperialismus, systemische Ungerechtigkeiten und ihre rücksichtslose Gier verursacht hat, was letztlich zur Erwärmung des Planeten geführt hat.“

Während die Streikaufrufe von Fridays for Future zumindest rhetorisch einen deutlichen emanzipatorischen Turn signalisieren, hat sich die Praxis der Bewegung im Kern bislang nur unwesentlich verändert. Die Gestaltung der jüngsten globalen Klimastreiks entsprach noch weitgehend den Demonstrationen von 2019. Begleitet wurden die Streiks von einer Social-Media- und Kommunikationsstrategie, die immer noch in erster Linie darauf abzielte, das Bewusstsein für die Klimakrise zu schärfen und Staats- und Regierungschefs zum Umdenken aufzufordern. Greta Thunbergs Aufforderung an die Herrschenden der Welt, „das System zu entwurzeln“, verkörpert die Widersprüche dieses Ansatzes.

Gemeinsam streiken

Der aktuelle Moment bietet also die Chance, zur ursprünglichen Idee des Klimastreiks als einer umfassenderen Aktionsform zurückzukehren. Bislang hat sich der Klimastreik als Schulstreik nahezu ausschließlich auf das Bestreiken sozialer Reproduktionsprozesse – also der Reproduktion von Leben jenseits des Produktionsprozesses – beschränkt. Warum nicht darüber nachdenken, seine Reichweite zu erweitern und auch andere Bereiche wirtschaftlicher Aktivität zu bestreiken, wie etwa die Produktion und Zirkulation von Gütern, die den Planeten zerstören? Wie bei den erfolgreichen Streiks der vergangenen Jahrhunderte könnten die Klimastreiks auch als Plattform für andere Formen des zivilen Ungehorsams, des demokratischen Experimentierens und der öffentlichen Bildung genutzt werden. Allein kann die Klimastreikbewegung das wohl nicht schaffen. Sie wird neue Allianzen mit anderen Akteuren wie Gewerkschaften, feministischen Gruppen, indigenen, antirassistischen und antikolonialen Bewegungen benötigen.
Diese Allianzen interessengruppenübergreifend zu organisieren, zu koordinieren und zu synchronisieren und den Klimastreik auf breitere Schultern zu stellen, mag als eine gewaltige Aufgabe erscheinen. Doch angesichts der drohenden planetarischen Katastrophe sollte es zumindest einen Versuch wert sein.

Was denken die Klimastreik-Aktivist:innen selbst über die Zukunft ihrer Bewegung? Und wie gehen andere Forschende mit diesen Fragen um? Für mein Forschungsprojekt "Theorizing" habe ich dazu mehr als ein Dutzend Interviews mit Aktivist:innen und Akademiker:innen aus allen Kontinenten geführt. Diese Interviews sind ab jetzt auf dem Youtube-Kanal des IASS (@iasspotsdammedia) verfügbar.

 

What’s next for the Climate Strike Movement?

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