Overline: Workshop
Headline: Optimismus im Sektor der netzunabhängigen erneuerbaren Energien? Das sagen die wichtigsten Interessenvertreter

Off-Grid renewable energy
TU BERLIN/Pacifique Himbaza

Co-Autor: Gunnar Raasch, Brandt School of Public Policy, Universität Erfurt

Netzunabhängige erneuerbaren Energien spielen eine Schlüsselrolle bei der umweltverträglichen Bekämpfung der Energiearmut - eine dringende Herausforderung für viele Entwicklungsländer. Die Internationale Energieagentur hat die Rolle des Sektors für die Überbrückung der derzeitigen Lücke beim Energiezugang anerkannt, insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen ein Netzausbau derzeit nicht möglich oder finanzierbar ist. Der Sektor der netzunabhängigen erneuerbaren Energien ist in den letzten zehn Jahren beträchtlich gewachsen und erreicht nun mit innovativen Zahlungsmechanismen auch finanziell eingeschränkte Haushalte.

Im Rahmen unseres zweitägigen Forschungs- und Politikworkshops COVID 19: RISKS AND OPPORTUNITIES FOR THE ENERGY TRANSITION, der gemeinsam vom Projekt "Die systemischen Auswirkungen der globalen Energiewende" am IASS Potsdam, HEDERA Sustainable Solutions und dem Impact-Driven & Action-Based Research Project (IMPACT-R) organisiert wurde, wurden Interessenvertreter*innen aus dem Sektor netzunabhängiger erneuerbarer Energien eingeladen, um diese Auswirkungen im Detail zu diskutieren und politische Empfehlungen zu entwickeln. In der 2,5-stündigen Veranstaltung tauschten 15 Entscheidungsträger*innen, Politikforschende, Industrievertreter*innen und Akademiker*innen, die in verschiedenen Ländern in sub-sahara Afrikas tätig sind, Erfahrungen und Meinungen aus. Der Workshop zeigte die wichtigsten Herausforderungen und Chancen des Sektors auf, wobei der Schwerpunkt auf der Energiefinanzierung lag. Die Teilnehmenden erörterten Wechselbeziehungen zwischen den Themenfeldern und ermittelten geeignete politische Empfehlungen.

Während die politischen Empfehlungen des Workshops in einer separaten Veröffentlichung weiter ausgeführt werden, ergaben sich zwei grundlegende Schlussfolgerungen aus den Diskussionen.

(Sofern nicht anders angegeben, beruhen die nachstehenden Aussagen auf den Beobachtungen der Teilnehmenden.)

Die durch die Covid-19-Pandemie verursachten Herausforderungen müssen zusammen mit den bereits bestehenden Herausforderungen des Sektors betrachtet und ganzheitlich angegangen werden.

Diskussionen über Pandemiebekämpfungsmaßnahmen konzentrieren sich häufig in erster Linie oder ausschließlich auf die durch die Pandemie verursachten Herausforderungen, ohne die bereits bestehenden Herausforderungen zu berücksichtigen. Dies ist ein bedeutendes Versäumnis für einen Sektor, der von den Workshop-Teilnehmenden als "Hochrisikogeschäft" mit "Überlebensschwierigkeiten" beschrieben wurde, auch schon vor der Pandemie.

a. Die Teilnehmer berichteten, dass die Pandemie die Risikowahrnehmung, die Kapitalkosten und die Schwierigkeiten beim Investitionsklima erhöht hat. Sie wiesen auch darauf hin, dass einige Finanzierungsformen (insbesondere die Beteiligungsfinanzierung 'equity financing') erheblich zurückgegangen sind. Neben diesen negativen Auswirkungen, die das langfristige Wachstum des Sektors stark einschränken, wurden unzureichende Finanzierung und geringe Investitionen des Privatsektors als große Herausforderungen genannt, beide Probleme gab es bereits vor der Pandemie Diese Beobachtung wird durch die GOGLA-Investitionsdatenbank  bestätigt, aus der hervorgeht, dass die Investitionen in den Sektor in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts zwar beträchtlich gestiegen sind, aber seit 2016 stagnieren.

Die Teilnehmenden verwiesen darauf, dass dezentrale Projekte für erneuerbare Energien oft einen kleineren Umfang haben, was die Investitionsrendite einschränkt. Das Fehlen innovativer Finanzierungsmechanismen, wirksamer politischer Rahmenbedingungen, von Instrumenten zur Risikoreduktion, von Zuschüssen für kleine und mittlere Unternehmen und von Subventionsregelungen wurden ebenfalls als Faktoren genannt, die sich negativ auf das Investitionsklima auswirken. Begrenzte Marktkenntnis und die mangelnde Transparenz im Sektor, lassen die Unternehmen oft unvorbereitet und in Unkenntnis der bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten zurück.

b. Die Teilnehmenden merkten auch an, dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit sowie die Unterbrechung der Versorgungsketten und der Kommunikation während der Pandemie zu Produktionsengpässen, Arbeitskräftemangel, mangelnder Verfügbarkeit von Ersatzteilen und einem allgemeinen Rückgang der Installationen führten. Darüber hinaus führten die Einschränkungen durch den Lockdown zu geringerer technischer Unterstützung und sinkender Servicequalität. Gleichzeitig wurde beobachtet, dass die Pandemie das Einkommen von Haushalten verringerte und die Ausgaben der Haushalte einschränkte, was zu einem allgemeinen Umsatzrückgang, einem schrumpfenden Kundenstamm sowie zu Zahlungsstörungen und -ausfällen bei den Kunden führte. Infolgedessen gerieten viele Unternehmen in Liquiditätsschwierigkeiten, die in extremen Fällen die Finanzierung von Lagerbeständen, Gehältern und die Bedienung von Krediten unmöglich machten.

Die Workshop-Teilnehmenden stellten fest, dass Erschwinglichkeit für die Verbraucher*innen und die Qualität des Systems seit langem ein Problem für den Sektor darstellen. Geringere Haushaltseinkommen in den Zielgruppen, der Mangel an bezahlbaren Krediten und hohe Preise (insbesondere hohe Vorlaufkosten) hielten viele potenzielle Kundinnen und Kunden davon ab, ein netzunabhängiges System anzuschaffen.
Die Teilnehmenden betonten, dass bisherige Lösungen zur Verbesserung der Erschwinglichkeit eigene Herausforderungen für den netzunabhängigen Sektor mit sich bringen. So machte beispielsweise das Pay-As-You-Go-Modell netzunabhängige Solarsysteme für viele Haushalte mit geringem Einkommen erschwinglich, verlagerte aber auch das Risiko von den Kreditinstituten auf die netzunabhängigen Unternehmen selbst und machte die Einnahmen weniger kalkulierbar.

Selbst bei Verbraucher*innen, die sich die Produkte leisten können, stellten die Teilnehmenden ein Gefühl des Misstrauens fest, dass ihre Bereitschaft zum Kauf von netzunabhängigen Produkten verringert. Dieses Misstrauen wurde durch die schlechte Qualität der Systeme verursacht, die Berichten zufolge auf fehlende Qualitätsstandards, begrenzte technische Kapazitäten und das Fehlen lokaler Märkte für Reparaturen zurückzuführen ist.

c. Eine weitere Einschränkung war schließlich die unzureichende Reaktion der Regierung und der Mangel an Unterstützung für den Sektors während der Pandemie, da die Regierung teilweise der Gesundheitsversorgung und dringenderen Pandemieproblemen eine höhere Priorität einräumte. Andererseits betonten die Teilnehmenden die bereits bestehenden politischen und regulatorischen Hindernisse, die dem Sektor schadeten. Es wurde berichtet, dass hohe und schwankende Tarifpreise, unklare Netzausbaupläne, komplizierte Genehmigungsverfahren und mangelnde Klarheit über Steuerbefreiungen zu Unsicherheit und Instabilität in der Branche führten und das Misstrauen der Kundinnen und Kunden schürten. Darüber hinaus hatten die netzunabhängigen Unternehmen keinen ausreichenden Zugang zu staatlichen Subventionen und Mechanismen zur Risikoreduktion.

Es gibt Chancen - aber sie müssen genutzt werden

Trotz dieser düsteren Darstellung der Herausforderungen nach und vor der Pandemie wurden in den Diskussionen auch eine Reihe von Chancen, die durch die Pandemie neu entstanden sind, hervorgehoben. Die Workshopteilnehmenden berichteten, dass die Krise die Bedeutung des Zugangs zu Energie für die Wirtschaft und einen funktionierenden Gesundheitssektors hervorgehoben hat sowie dafür, wichtige gesellschaftliche Funktionen wie Bildung aufrechtzuerhalten. Dementsprechend erklärten eine Reihe von Regierungen den Sektor der netzunabhängigen erneuerbaren Energien zu einer systemrelevanten Dienstleistung und diverse Zuschüsse zur Unterstützung der Elektrifizierung von Gesundheitseinrichtungen wurden gewährt. Darüber hinaus wurde berichtet, dass die Pandemie in einigen Ländern zu Not- und Finanzhilfen für den netzunabhängigen Sektor führte. Tatsächlich zeigt die Investitionsdatenbank der GOGLA einen starken Anstieg (350 %) der Gesamtinvestitionen für Zuschüsse im Jahr 2020. Einige Teilnehmende äußerten jedoch Bedenken hinsichtlich der langfristigen Nachhaltigkeit der Maßnahmen (z. B. sofortige finanzielle Unterstützung und Finanzierung von Elektrifizierungs- und Gesundheitsprojekten).

Schließlich merkten einige Teilnehmende an, dass die kurzfristigen Schwierigkeiten den Sektors zur Anpassung zwangen. Die Krise habe dazu beigetragen, den Prozess der Digitalisierung zu beschleunigen und netzunabhängige Unternehmen zu ermutigen, neue Einnahmequellen zu erschließen (z. B. durch die Entwicklung von Business-to-Business-Verkäufen).

Insgesamt habe der Sektor als vermeintlich risikoreicher Markt die Krise bemerkenswert gut überstanden hat. Dies könnte die Widerstandsfähigkeit des Sektors unterstreichen und dazu beitragen, überzogene Risikowahrnehmungen zu korrigieren.

Der Weg in die Zukunft: Die hier aufgezeigten Möglichkeiten sind ermutigend. Gleichwohl unterstreichen die zahlreichen Herausforderungen vor und nach der Pandemie die Bedenken, ob die Maßnahmen langfristig und nachhaltig wirken werden. Die vorliegenden Belege für eine Finanzierungslücke für den universellen Zugang zu Energie sowie der Rückgang des netzunabhängigen Energiezugangs  während der Pandemie unterstreichen, dass systematische Anstrengungen der Politik erforderlich sind, um die Chancen für den Sektor zu nutzen.
Im Hinblick auf die COP26 ist es wichtig, die Bedeutung des Sektors für eine nachhaltige Entwicklung zu betonen und die Unterstützung dieses Sektors zu einer Priorität für politisch Entscheidungsträger*innen zu machen. Politische Maßnahmen sollten eine langfristige Perspektive einnehmen und die Probleme im Sektor ganzheitlich angehen.

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