Headline: Frauen, Gender und Mobilität

Kopenhagen gilt als Vorbild bei der Förderung des Radverkehrs.
Kopenhagen gilt als Vorbild bei der Förderung des Radverkehrs. Mikael Colville-Andersen CC BY-NC 2.0

Seit 2019 sind Frauen und Mobilität vermehrt Thema unterschiedlicher Medienformate, Veranstaltungen und der Politik. Die Kernaussage der Debatten ist dabei immer wieder: „Frauen bewegen sich anders fort als Männer“. Aber was heißt das genau? Wie ist das unterschiedliche Mobilitätsverhalten zu erklären und was bedeutet das für die (Planung der) Mobilitätswende?

Mobilitätsverhalten von Frauen

Die Verkehrsstatistik zeigt signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede im Mobilitätsverhalten (s. z.B. die Studien von Best und Lanzendorf, Kawgan-Kagan und Popp, Nobis und Lenz). Das soziale Geschlecht kann in Kombination mit anderen sozio-demographischen Variablen wie Einkommen, Alter und Haushaltszusammensetzung Unterschiede in Bezug auf Dauer, Häufigkeit, Art und Zweck der Fortbewegung erklären. So machen Frauen im Vergleich zu Männern mehr Wege pro Tag, die Strecke dieser einzelnen Wege ist aber in der Regel kürzer. Des Weiteren fahren Frauen weniger Auto, gehen häufiger zu Fuß, fahren mehr mit dem Fahrrad oder nutzen eher den ÖPNV.

Dieses Mobilitätsverhalten von Frauen ergibt sich vorrangig aus dem Zweck der zurückgelegten Wege, welche überwiegend alltäglichen Erledigungen oder der Begleitung von mobilitätseingeschränkten Personen (Kinder und alte Menschen, Menschen mit Assistenzbedarf) dienen. Das weibliche Mobilitätsverhalten ist somit vielfältiger, sozialer und weniger linear.

Doch die Wegzwecke zeigen noch etwas anderes: Das geschlechtsspezifische Mobilitätsverhalten ist nicht etwa biologischer Natur, sondern Resultat sozialer Rollen und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Deshalb wird heute von genderspezifischem Mobilitätsverhalten gesprochen, wobei Gender das soziale, gesellschaftlich konstruierte Geschlecht beschreibt.

Genderspezifisches Mobilitätsanforderungen

Die gesellschaftliche Konstruktion von Geschlecht und die damit einhergehenden Erwartungshaltungen und Aufgaben ergeben spezifische Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur und die Verkehrsmittel. Beispiele für genderspezifische Mobilitätsanforderungen sind sichere und barrierefreie Infrastrukturen. Hierzu gehören geschützte Radwege, breite Gehwege, Rampen, Aufzüge sowie breitere Türen. All diese Maßnahmen erhöhen nicht nur den Komfort für mobilitätseingeschränkte Personen, sondern auch die Sicherheit der vulnerabelsten Verkehrsteilnehmer:innen.

Da Frauen heute sowohl mit den Anforderungen der Reproduktions- als auch der Produktionsarbeit konfrontiert sind, ist die Möglichkeit zur flexiblen Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel besonders wichtig. Aufgrund der doppelten Belastung entsteht zum einen ein größerer Mobilitätszwang und zum anderen ein größerer Zeitdruck in der Mobilität. Diese Mobilitätsanforderungen gelten auch für Männer, die Care-Arbeit übernehmen. Des Weiteren ergeben sich durch deutlich geringere Einkommen und aufgrund von spezifischen Körpererfahrungen von Frauen und den damit einhergehenden Ängsten, wie beispielsweise vor Übergriffen im öffentlichen Raum, weitere Anforderungen an Mobilität und die Gestaltung des öffentlichen Raums.

Leider werden diese genderspezifischen Mobilitätsbedürfnisse in der derzeitigen Planung des Verkehrssektors und der Ausgestaltung neuer Mobilitätsangebote wie Carsharing, Ridepooling oder dem Verleih von E-Scootern immer noch nicht ausreichend beachtet. So sind viele neue Sharing-Angebote häufig nicht mit dem Alltag vieler Frauen kompatibel. Die Konsequenz ist, dass Frauen diese Angebote auch weniger nutzen.

Die Frage liegt nahe: Warum werden die verschiedenen Mobilitätsbedürfnisse nicht in der Planung und Ausgestaltung berücksichtigt?

Das Problem Automobilität?!

Die seit den 1950er Jahren herrschende Ausrichtung der städtischen Infrastruktur auf das Auto negiert die (Mobilitäts-) Bedürfnisse vieler nicht automobiler Verkehrsteilnehmer:innen. So ermöglichen die sternförmig geplanten und aufgebauten Verkehrsverbindungen der Städte zwar eine schnelle Verbindung von den Wohngebieten im Vorort zur Arbeitsstätte in der Innenstadt, sind jedoch nur für eine kleine Gruppe meist männlicher Pendler ausgelegt.

In Kombination mit den technischen Entwicklungen des Automobilsektors unter dem Leitbild „schneller, größer und effizienter“, ist das Auto eng mit einem traditionellen Männlichkeitsbild verknüpft. Das Auto wurde zum Symbol männlicher Dominanz bzw. in den Worten Judith Butlers zu einer „männlichen Praktik“ auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer:innen. So sind Männer deutlich häufiger Verursachende von schweren und tödlichen Unfällen. Das trifft insbesondere auf sogenannte „Kavaliersdelikte“ wie Trunkenheit, Raserei oder Falschparken zu.

Die männliche Prägung des Verkehrssektors durch Automobilität und somit auch die Vernachlässigung anderer Mobilitätsbedürfnisse wird durch Gender Gaps in der Mobilitätsbranche verstärkt. Der Frauenanteil an allen Leitungsfunktionen im BMVI liegt bei 34 %, der Anteil von Frauen in der Stadtplanung bei 33 % und der Anteil von Frauen auf Vorstandsposten in den 50 größten Verkehrsunternehmen bei lediglich 5,6 %. Eine Bundesverkehrsministerin gab es bisher noch nie.
Auch der Wandel von Verbrennungsmotoren zu Elektro- oder Wasserstoffantrieben ändert wenig an der geringen Gendersensibilität im Verkehrssektor und dessen Wandel. Die neuen Antriebstechnologien tragen sogar zur Aufrechterhaltung der männlichen Strukturen und den damit verbundenen sozio-ökologischen Folgen bei. Wird die Mobilitätswende von Männern für Männer vorangetrieben?

Und jetzt?

Zunächst einmal erlaubt eine Betrachtung von Genderaspekten in der Mobilität, die Debatte über „Frauenfragen“ hinaus zu erweitern. Der Blick auf weibliche Mobilität hilft Strukturen zu erkennen und Lösungen zu entwickeln, die nicht nur für Frauen förderlich sind, sondern für alle Menschen mit anderen Mobilitätsbedürfnissen als dem reinen Pendeln mit dem Auto vom Wohn- zum Arbeitsort. Aber ganz so einfach ist es nicht. Gender stellt nicht das einzige Kriterium dar, welches unser Verhalten und unsere Lebensrealitäten und damit auch unser Mobilitätsverhalten und -bedürfnisse bestimmen. Es gibt weitere gesellschaftliche Machtverhältnisse, wie rassistische und kapitalistische Strukturen, die darauf Einfluss haben. Folglich ist die alleinige Ursache auch nicht in der Automobilität zu finden.

Doch um die in aktuellen Umfragen von vielen Menschen begrüßte Mobilitätswende erfolgreich umzusetzen, müssen individuelle, insbesondere männliche Privilegien, die sich unter anderem in der Automobilität festigen, abgebaut werden. Die Mobilitätswende darf nicht nur auf ökologischere Lösungen fokussiert sein, sondern muss auch die unterschiedlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse von Frauen und marginalisierten Gruppen mitdenken. Es muss vermehrt um Inklusivität und Rücksichtnahme gehen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Denn Mobilität ermöglicht die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, ist Teil einer sozialen Daseinsvorsorge und somit Kernelement einer demokratischen, stabilen, gerechten Gesellschaft. Es muss der Anspruch der Politik im Allgemeinen, aber auch der Stadt- und Verkehrsplanung sein, die Teilhabe aller Menschen durch die Vertretung aller gesellschaftlicher Gruppen, Geschlechter und unter Beachtung weiterer Diskriminierungsebenen wie Herkunft und Klasse, sicher zu stellen.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. Juni 2021 auf der Website des EXPERI-Projektes.

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