Headline: Bilanzexterne Fiskalagenturen können die grüne Transformation finanzieren

Eurozone Fiskalagenturen
Sogenannte bilanzexterne Fiskalagenturen unterliegen nicht so strengen Regeln wie nationale Staatshaushalte und können daher den Spielraum für nachhaltige öffentliche Investitionen vergrößern. iStockfoto/ Wicki58

Von Andrei Guter-Sandu und Steffen Murau

In den vergangenen Jahren mehren sich die Stimmen, Zentralbanken zu Vorreitern der Nachhaltigkeitstransformation zu machen. Ist das die beste Idee – oder gibt es Alternativen?

Wir sehen drei Probleme: Es ist erstens keineswegs offensichtlich, dass es möglich ist, Zentralbankbilanzen zur Unterstützung grüner Vermögensanlagen zu transformieren. Zwar wird geäußert, dass Zentralbanken „braune“ Vermögenswerte bevorzugten. Um das zu ändern, müssten sie das Prinzip der Marktneutralität aufgeben, Anleihen aus CO2-intensiven Sektoren loswerden und durch grüne Anleihen oder Anleihen von Emittenten mit niedrigen CO2-Emissionen ersetzen. Ein solches Vorgehen könnte allerdings mit der Hauptaufgabe von Zentralbanken in Konflikt geraten, nämlich die Stabilität des Finanzsystems zu verteidigen und als Kreditgeber der letzten Instanz zu agieren.

Zweitens ist die Tatsache, dass Zentralbanken ihre Geldpolitik über Wertpapiermärkte bewerkstelligen, ein weiteres Problem für eine von Zentralbanken ausgehende grüne Transformation. Der Markt für grüne Anleihen ist immer noch sehr klein im Verhältnis zum gesamten Anleihemarkt, auch wenn er schnell wächst. Ein Engagement von Zentralbanken auf diesem Markt mag zwar die Anreize erhöhen, mehr grüne Anleihen auszugeben. Dies kann aber zugleich deren tatsächlichen ökologischen Effekt verwässern – insbesondere da es nach wie vor keine allgemein akzeptierte Definition von grünen Anleihen gibt. Daher garantiert die Nutzung von Geldpolitik für eine grüne Transformation keineswegs, dass tatsächlich nachhaltige Projekte finanziert werden.

Drittens würde eine Neuausrichtung der Zentralbanken einen bedeutenden Eingriff in die derzeitige Gewaltenteilung bedeuten. Wenn weniger fortschrittlich gesinnte, aber demokratisch gewählte Populisten Kontrolle über die Zentralbankbilanzen erhalten, steht zu befürchten, dass sie diese für eigennützige und klientelistische Zwecke einsetzen.

Dr. Andrei Guter-Sandu ist Postdoctoral Fellow am Center for Analysis of Risk and Regulation der London School of Economics and Political Science. Dr. Steffen Murau ist Postdoctoral Fellow am Global Development Policy Center der Boston University und Affiliate Scholar am IASS. Die beiden haben einen Preis beim Essay-Wettbewerb zu „Demokratie und Wirtschaft“ der Hertie Stiftung gewonnen, mit einem gemeinsam verfassten Aufsatz über die Demokratisierung der Eurozone. In ihrem Beitrag stellen sie fest, dass es seit der Eurokrise die Tendenz gibt, „bilanzexterne Fiskalagenturen“ ins Leben zu rufen, um den eingeschränkten fiskalischen Spielraum in der Eurozone-Governance zu umgehen. Ihr Essay wurde im Oktober 2020 in der "Wirtschaftswoche" veröffentlicht. In diesem Blog Post reflektieren sie die Implikationen, die ihr Argument für die „grüne Transition“ hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft hat.

Es gibt jedoch einen alternativen Weg, um die Nachhaltigkeitstransformation zu finanzieren, nämlich über sogenannte bilanzexterne Fiskalagenturen. Im Englischen sind sie als Off-Balance-Sheet Fiscal Agencies bekannt – kurz OBFAs.

Neue Fiskalagenturen

OBFAs nutzen Grauzonen im Regulierungsrahmen der Eurozone und schaffen dadurch Spielraum für Aktivitäten, über die die Staatshaushalte der Euroländer sonst nicht verfügen. Nationale Staatshaushalte sind an strenge fiskalische Regeln gebunden, etwa durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt, den Europäischen Fiskalpakt oder das Europäische Semester. Der EU-Haushalt ist trotz der geplanten Neuerungen vom mehrjährigen Finanzrahmen abhängig, den die EU-Mitgliedsländer im Voraus festlegen, und kann nicht autonom Steuern erheben oder in nennenswertem Umfang auf eigene Initiative hin Anleihen ausgeben. In diesem Kontext der Fiskaldisziplin unterstützen nationale und supranationale OBFAs die Funktionen der Staatshaushalte in mehrfacher Hinsicht.

Der wohl wichtigste Aspekt ist, dass OBFAs den Spielraum für öffentliche Investitionen erhöhen. Wie häufig beklagt wird, wurde die fiskalische Handlungskapazität von Staatshaushalten über Jahrzehnte hinweg reduziert und hat strukturell zu sinkenden Investitionen geführt, sowohl in Überschuss- als auch in Defizitländern der Eurozone. Im Gegenzug wurde jedoch der Handlungsspielraum von OBFAs stetig erhöht.

Die besten Beispiele sind staatliche Banken und Entwicklungsbanken wie die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die französische Agence Française de Développement oder – auf europäischer Ebene – die Europäische Investitionsbank, der Europäische Investitionsfonds und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Diese Organisationen waren ausschlaggebend für den Aufbau eines „versteckten Investitionsstaates“ im Herzen der EU.

Die Finanzierung der Nachhaltigkeitstransformation

In unserem Artikel in der „Wirtschaftswoche“ schlagen wir vor, die supranationalen OBFAs der Autorität des Europäischen Parlaments zu unterstellen. Damit ließe sich das Demokratiedefizit der Eurozone bekämpfen und eine akzeptable Form einer Fiskalunion erreichen.  OBFAs könnten Vorreiter sein bei der Finanzierung der Nachhaltigkeitstransformation. Da sie nicht den strengen Regeln unterworfen sind, die für die nationalen Staatshaushalte gelten, können sie den Spielraum für nachhaltige öffentliche Investitionen vergrößern. OBFAs können beispielsweise, analog zu nationalen Staatshaushalten, die öffentliche Infrastruktur oder Energiesysteme finanzieren und zugleich nachhaltiger machen.

Da OBFAs von den Staatshaushalten gestützt werden, genießen sie auch deren Zinsvorteile. Auf dieser Basis können sie Anleihen ausgeben, die auf großes Interesse von Investoren treffen, die auf der Suche nach sicheren Wertpapieren der Eurozone sind. Da es quer durch Europa zahlreiche unterschiedlich ausgerichtete OBFAs gibt, können sie durch das Einbringen von Wissen und Expertise durch die Menschen vor Ort eine bessere Verteilung der Mittel bewirken.

Geldpolitik ist nicht das ideale Instrument zur Bewältigung großer Herausforderungen wie etwa des sozialen und ökologischen Wandels. Es ist besser, wenn die Zentralbanken weiterhin als Kreditgeber der letzten Instanz zur Bereitstellung von Notfallkrediten in Erscheinung treten - und nicht auch noch zusätzlich in vorderster Reihe als Agenten eines umfassenden Politikwechsels. Zentralbanken können zu fiskalischen Stimulierungsmaßnahmen beitragen, indem sie die langfristige Kreditaufnahme billig halten und demokratisch kontrollierte OBFAs dabei unterstützen, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zielorientiert zu erfüllen – inklusive der Finanzierung der Nachhaltigkeitstransformation.

 

Dieser Blogpost basiert auf einem Essay, der in ungekürzter Länge am 14. Oktober 2020 unter dem Titel "Europäische Geldpolitik: Die Demokratisierung der Eurozone" in der "Wirtschaftswoche" als Gastbeitrag von Andrei Guter-Sandu und Steffen Murau veröffentlicht wurde.

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