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Headline: Lehren des Coronavirus: Neue Strategie für Erneuerbaren-Ausbau gefragt

Die Produktion von Solarpaneelen wird zunehmend automatisiert, erfordert aber immer noch eine beträchtliche Anzahl von Arbeitskräften.
Die Produktion von Solarpaneelen wird zunehmend automatisiert, erfordert aber immer noch eine beträchtliche Anzahl von Arbeitskräften. Shutterstock/sondem

Die internationale Gesundheitskrise hat ein gravierendes Problem für die Energiesysteme offenbart: Wir schätzen den Wert von Technologien für erneuerbare Energien nicht hoch genug ein. Die meisten Solarpaneele werden heute in China hergestellt, und ein Mangel an wichtigen Komponenten bedeutet, dass Europa jetzt mit großen Verzögerungen bei Neuinstallationen konfrontiert ist. Die Windkraft steht vor einem doppelten Problem: Die Produktion ist lahmgelegt, und die Länder verfügen möglicherweise nicht über das nötige Personal und Material, um die Systeme am Laufen zu halten. Sie sollten jetzt am Aufbau einer nationalen Infrastruktur für saubere Technologien arbeiten, so wie sie auch strategische Reserven an fossilen Brennstoffen bereithalten.

Rückschläge in der Solarproduktion

China hat mit seinen enormen Fertigungs- und Innovationskapazitäten für stark sinkende Photovoltaik-Preise gesorgt. So konnte sich der Rest der Welt Solaranlagen leisten. Aber damit einher gingen Bedenken hinsichtlich einer übermäßigen Abhängigkeit. Das Coronavirus fügt eine neue Dimension hinzu: Wenn große Teile der Lieferkette in einem Land konzentriert sind, kann eine Krise in diesem Land die internationale Energiewende bremsen.

China ist der weltweit wichtigste Produzent von PV-Modulen mit einem Anteil von rund 60% am Weltmarkt (oder rund 150 GW Produktionskapazität). Im Januar ging die Produktion von Polysilizium, multikristallinen Wafern, Mono- und Multizellen und Modulen drastisch zurück. Die chinesischen Solarinstallationen werden 2020 niedriger sein als prognostiziert, und die internationalen Lieferungen wurden eingeschränkt. In der US-Solarindustrie (die jährlich Module im Wert von etwa 7,5 GW herstellt) blieben letzte Woche einige Unternehmen geöffnet, aber das könnte sich bei einer Verschärfung der Pandemie ändern.

Inzwischen sind die Unterbrechungen der Lieferkette auch in Europa zu spüren. Im Februar schätzte der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) die Auswirkungen auf die Industrie in Europa noch als relativ gering ein, da die Unternehmen nur bis zu einem gewissen Grad von chinesischen Produkten abhängig sind. Auch eine relativ kurze Knappheit würde jedoch zu höheren Preisen führen. In Frankreich wurden Solarprojekte verschoben, aber Branchensprecherinnen und -sprecher blieben optimistisch, dass die Standorte bald wieder in Betrieb genommen würden. Da die Krise jedoch länger andauerte, mussten sich die Länder anpassen. Lieferverzögerungen haben dazu geführt, dass derzeit im Bau befindliche Projekte hinter den Zeitplan zurückgefallen sind, berichtet das PV-Magazin.

Yongping Zhai, Energieexperte der Asiatischen Entwicklungsbank, sieht darin einen Weckruf für Länder, die bei Rohmaterialien und Zubehörteilen von China abhängig sind. Insbesondere Entwicklungsländer, die ihre Solarkapazität erhöhen wollen, würden von einer Beteiligung an der Wertschöpfungskette für saubere Energie profitieren. Je mehr Länder ihre lokalen Kapazitäten ausbauen, desto weniger ist die Welt von einem einzigen Land abhängig. Dadurch sinkt das Risiko von Versorgungsunterbrechungen in Krisenzeiten.

Doppelter Nachteil für Windenergie

Der Windsektor unterscheidet sich vom Solarsektor dadurch, dass seine Innovationssysteme eng mit der Produktion verbunden und stärker räumlich konzentriert sind (es gibt „Cluster“ für Onshore-Wind in den USA, Brasilien, China und Europa). Die Wertschöpfungskette für die Offshore-Windenergie ist hauptsächlich in Europa angesiedelt, wo knapp 200 GW Windkraft in Betrieb sind.

Im Februar schätzten Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Windindustrie gegenüber dem Tagesspiegel die Gefahr als gering ein, dass sich der Corona-Ausbruch in China auf die deutsche Windenergie auswirkt. Problematisch sei nur, dass die europäische Industrie auf Importe von Materialien wie Stahl aus China angewiesen sei. Vertreterinnen und Vertreter von Offshore-Windenergie merkten an, dass sich die Branche in einer vergleichsweise glücklichen Lage befinde, da die Wertschöpfungskette weitgehend europäisch sei. Da sich das Virus seither mit verheerenden Folgen in Europa ausgebreitet hat, ist dieser „Vorteil“ der Konzentration der Lieferkette mittlerweile allerdings zu einer Belastung geworden. Wie im Falle der Solarenergie werden Projekte weltweit auf Eis gelegt.

Die Windkraft steht gegenüber der Solarenergie vor einem zusätzlichen Hindernis: Ihre Turbinen müssen von hoch qualifiziertem und spezialisiertem Personal gewartet werden. Bei der Offshore-Windenergie kann die allgemeine Wartung von lokalen Ingenieurinnen und Ingenieuren durchgeführt werden, aber für größere Probleme wird spezialisiertes Personal benötigt. Vertreterinnen und Vertreter von WindEurope äußerten sich gegenüber Green Tech Media besorgt darüber, dass deutsches Personal aufgrund von Coronavirus-Reiseverboten an der Grenze stecken bleiben könnte. Der dänische Energiekonzern Ørsted erklärte, dass er hoffe, den Betrieb wie gewohnt fortsetzen zu können. Er warnte allerdings davor, dass die Wartungs- und Serviceschiffe von Personalmangel betroffen sein könnten, was die Verfügbarkeit der Anlagen weiter verringern würde. In einem Worst-Case-Szenario würde die Leistung der Windenergie in Europa sinken.

Langfristige Auswirkungen

Nach einem Bericht von Wood Mackenzie vom März beginnt sich die PV-Solarproduktion in Asien bereits von ihrer Depression vom Januar zu erholen. Allerdings wird die installierte Leistung erneuerbarer Energien in China in diesem Jahr weit weniger steigen sein als prognostiziert - was bedeutet, dass die Dekarbonisierung der Energiesysteme länger dauern wird. Selbst wenn also die chinesische PV-Produktion wieder auf Kurs ist, könnte die Nachfrage nach Modulen niedrig bleiben. Dieser Trend wird sich verstetigen, wenn sich die europäische und nordamerikanische Gesundheitskrise verschärft. Da die Herstellung und der Betrieb von Windkraftanlagen in Europa stark betroffen sind, wird die Kapazität der Windkraftanlagen bestenfalls gleich bleiben und schlimmstenfalls abnehmen.

Das Coronavirus ist ein Stresstest für all unsere Systeme, einschließlich der erneuerbaren Energien. Er hat uns gezeigt, dass eine internationale Gesundheitskrise die Versorgung mit PV-Modulen ins Chaos stürzen und den Ausbau zum Stillstand bringen kann; und dass die Windkraft doppelt anfällig für Störungen sowohl bei neuen Installationen als auch bei der Wartung ist. Dabei handelt es sich nicht nur um Nischenindustrien: Im Jahr 2030 sollen 32% des Endenergieverbrauchs der EU aus erneuerbaren Energien stammen.

Staaten verfügen über strategische Reserven an fossilen Brennstoffen für den Fall einer Krise - es ist an der Zeit, strategisch darüber nachzudenken, was wir in einem Szenario mit 100 % erneuerbaren Energien an Hardware und Know-how aufbauen müssen. Dies würde bedeuten, dass wir zusätzliche Produktionskapazitäten für saubere Energietechnologien, sowohl für Solar- als auch für Windenergie, aufbauen müssten. Darüber hinaus müssen die Länder sicherstellen, dass sie über das Fachpersonal und die Infrastruktur verfügen, um ihre bestehenden EE-Kapazitäten, insbesondere die Offshore-Windenergie, aufrechtzuerhalten. Während die EU darüber debattiert, wie die europäische Wirtschaft angekurbelt werden kann, sollte sie die Clean-Tech-Industrie nicht nur als einen Weg zur Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern auch zur Erhöhung der Energieversorgungssicherheit betrachten.

 

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