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Headline: Investitionen in die Zukunft: Wie ein „grüner Covid-19-Stimulus“ die Energiewende stärken kann

Der European Green Deal sollte erweitert und beschleunigt werden.
Der European Green Deal sollte erweitert und beschleunigt werden. Shutterstock/violetkaipa

Die Coronakrise bedroht nicht nur unsere Gesundheit, sie hat auch starke Auswirkungen auf die Wirtschaftssysteme: Weltweit sind im ersten Quartal des Jahres Börsenkurse um bis zu 35 Prozent eingebrochen, es droht eine Rezession. Betroffen davon ist  auch der Energiesektor. Neben Einbrüchen der Ölpreise sind auch erneuerbare Energieträger betroffen. Krankheitsfälle, anhaltende Ausgangsbeschränkungen, Kurzarbeit und Grenzschließungen beeinflussen die Lieferketten der Wind- und Solarenergietechnologien; Investitionen stagnieren. In dieser Situation können wir aus dem Umgang mit früheren Wirtschaftskrisen lernen und sollten auf einen „grünen Stimulus“ entlang des Dreischritts Relief, Recovery und Reform setzen. Alle Maßnahmen entlang dieser drei Schritte sollten auf ihre Zukunftsfähigkeit geprüft werden. Das kann die Energiewende schneller und resilienter zu machen.

Krisenreaktionen – same but different

Der Diskurs um finanzpolitische Reaktionen auf die durch Covid-19 ausgelöste Wirtschaftskrise hat sich im Vergleich zur Finanzkrise 2007/2008 deutlich verschoben. Damals war eine alte Debatte einer der größten Streitpunkte, die Debatte zwischen Anhängern von zwei wirtschaftstheoretischen Denkschulen, basierend auf Keynes und Hayek. Während Keynes Fiskalpolitik und Investitionen nutzen wollte, um die Nachfrage zu erhöhen und so die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, wollten Hayek und seine Anhänger staatliche Einmischung auf ein Minimum beschränken. Über Jahrzehnte hinweg spiegelte sich diese Trennlinie auch im politischen Spektrum wider: Während Sozialdemokraten in Krisenzeiten Konjunkturpakete forderten, lautete die konservative Antwort oftmals Sparpolitik und Austeritätsmaßnahmen.

Heute herrscht angesichts Covid-19 über Parteigrenzen hinweg in Deutschland und auf EU-Ebene eine neue Einigkeit darüber, dass staatliche Hilfsmaßnahmen notwendig und wünschenswert sind. Die neue Gretchenfrage lautet stattdessen: Welche Rolle sollte die Nachhaltigkeit dabei spielen? Böten solch hohe Investitionssummen nicht eine Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – die Wirtschaft anzukurbeln und gleichzeitig nachhaltig umzugestalten? Roosevelt lieferte hier die Blaupause der möglichen Sequenz staatlicher Krisenintervention: Relief, Recovery, Reform.

1. Relief: Soforthilfsmaßnahmen in der Krise

In der aktuellen Krise drohen viele Unternehmen in die Zahlungsunfähigkeit zu geraten. Deshalb braucht es Kredite, Kurzarbeitergeld und Zuschüsse – diese sollten gezielt eingesetzt werden und auch langfristig sinnvoll sein. Autohersteller nutzen die Situation, um das Rad rückwärts zu drehen:  sie stellen Emissionsvorgaben in Frage, fordern gleichzeitig jedoch staatliche Unterstützungen und Kaufprämien für Diesel und Benziner. Dabei bleibt fraglich, inwiefern staatliche Hilfen die Lebensdauer eines Verbrennungsmotors verlängern sollten, dessen Tage ohnehin gezählt sind. Im schlimmsten Fall werden solche Investitionen zu stranded assets. In diesem Zusammenhang debattieren die  „Scientists for Future“, Industrien mit nicht „enkeltauglichen“ Geschäftsmodellen, wie beispielsweise Fluggesellschaften, von diesen Maßnahmen auszuschließen.  Denkbar wäre es, als Kriterium für Soforthilfen einzuführen, dass die Firmen mit den Pariser Klimazielen vereinbare firmeneigene Emissionssenkungsziele bis 2030 haben. Die „Science-based-targets“-Initiative bietet hierfür bereits eine Plattform.

2. Recovery: Konjunktur fördern

Die Konjunkturmaßnahmen im Zuge der Finanzkrise waren an einer Wiederherstellung und Sicherung des Status quo orientiert. Kurzzeitige Emissionsminderungen in der Krise verschwanden, sobald das Wirtschaftswachstum wieder einsetzte; die Emissionen stiegen im letzten Jahrzehnt global weiter auf Rekordhöhen. Dieses Mal sollte ein nachhaltigerer Ansatz gewählt werden: investieren in die Beschleunigung einer Transformation, die ohnehin längst überfällig ist.

Wie könnte das konkret aussehen? Nach dem Lockdown sollten staatliche Investitionen wie weitere Ausschreibungen für erneuerbare Energien die Branche neu beleben. Existierende Unterstützungsprogramme sollten ausgeweitet werden (etwa durch eine Abschaffung des Solardeckels). Zudem können Anreize für private Investitionen geschaffen werden, beispielsweise mit einer Abwrackprämie für Ölheizungen. Viele Investitionen, die in den nächsten Jahren aus Klimaschutzgründen ohnehin geboten wären, zum Beispiel in die energetische Sanierung von Gebäuden, ÖPNV, Schienen und Radwegen, könnten vorgezogen werden. Neue Programme zur Entwicklung grünen Wasserstoffs könnten die Sektorkopplung beschleunigen und einen neuen Wirtschaftszweig schaffen. Auf europäischer Ebene bietet der European Green Deal die einmalige Chance, Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und eine Energiewende voranzutreiben.

3. Reform: strukturelle Resilienz erhöhen

Langfristig sollte die Resilienz des Energiesektors erhöht werden: Importabhängigkeiten sowie stark schwankende CO2-Preise sollten angegangen werden.

Der Ausbau erneuerbarer Energien kann zu einer erhöhten Resilienz beitragen, indem er die  Importabhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert. Bereits vor der Krise kamen jedoch in Deutschland die Neuinstallationen von Windkraftanlagen beinahe zum Erliegen. Gesetzesreformen, beispielsweise von Abstandsregelungen, wären notwendig, um die Fortexistenz zu sichern. Die Covid-19-Krise offenbart jedoch auch die Verwundbarkeit der Lieferketten erneuerbarer Energien durch eine hohe Importabhängigkeit, vor allem im Solarsektor. In ihrem Beitrag im IASS-Blog argumentiert Silvia Weko, dass die Produktion und Entwicklung neuer Innovationen im Bereich erneuerbare Energien als strategisch wichtiger Bereich speziell gefördert werden sollte – europäische Innovationscluster im Bereich der Speichertechnologien stellen hier einen wichtigen Schritt dar.

Die starken Einbrüche der CO2-Preise in der Krise stellen ebenfalls einen Unsicherheitsfaktor dar  und bremsen aktuell Investitionen aus. Hier könnte Planungssicherheit geschaffen werden, indem ein CO2-Floorprice in den europäischen Emissionshandel (ETS) integriert wird. Eine allgemeine geringere Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum könnte zudem die Resilienz erhöhen. Strukturelle Reformen dieser Art können dazu beitragen, den Energiesektor zukunftsfähig, „enkeltauglich“ und krisensicherer zu machen.

Maßnahmen integriert denken

Alle Maßnahmen entlang dieser drei Schritte – Relief, Recovery and Reform müssen zukunftsfähig sein – sonst landen Steuergelder in stranded assets. Die drei Schritte sollten sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene aufeinander aufbauend zusammengedacht werden und jeweils mit den Pariser Klimazielen vereinbar sein. Der European Green Deal sollte die Grundlage für jegliche Maßnahmen in dieser Krise bilden. Sein Volumen zu erweitern und die Umsetzung zu beschleunigen, sollte das Gebot der Stunde sein. Damit kann ein „grüner Covid-19-Stimulus“ die Energiewende und die Resilienz unserer Gesellschaft stärken.

 

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