Overline: Energiewende
Headline: Internationale Aspekte der deutschen Wasserstoffambitionen

Strom aus erneuerbaren Energien in Form von Wasserstoff speichern, bis er benötigt wird: Die Idee ist überzeugend, die Umsetzung aber nicht so einfach.
Strom aus erneuerbaren Energien in Form von Wasserstoff speichern, bis er benötigt wird: Die Idee ist überzeugend, die Umsetzung aber nicht so einfach. Shutterstock/FrankHH

Wasserstoff ist das dominierende Energiewendethema der Stunde. Warum eigentlich? Hat in den vergangenen Jahren nicht ein Langfristszenario nach dem anderen gezeigt, dass aus Kostengründen für eine Minderung der Treibhausgas-Emissionen von 80 Prozent keine nennenswerten Beiträge von grünem Wasserstoff und PtX-Produkten zu erwarten sind? Schon, aber weil auf EU-Ebene mit Unterstützung der Bundesregierung das neue Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 ausgegeben wurde, ist es richtig, dass die Politik sich des Themas annimmt. Es ist sogar sinnvoll, weil Technologieentwicklung und Marktaufbau Jahre bis Jahrzehnte in Anspruch nehmen werden und die Investitionszyklen der energieintensiven Industrie - einem prioritären Anwendungsfeld grünen Wasserstoffs - sehr lang sind.

Wenn man die derzeitige Euphorie um Wasserstoff mit der Dysphorie um den Ausbau Erneuerbarer vergleicht, scheint eine an für sich triviale Erkenntnis so manchem nicht immer präsent zu sein: Strom aus erneuerbaren Energien bildet als Ausgangprodukt das Fundament einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Einerseits dürfte die zeitliche Distanz zur mühseligen großskaligen Umsetzung diese Diskrepanz begründen, andererseits könnte auch die wahrscheinlich irrige Annahme eine Rolle spielen, dass der Ausbau Erneuerbarer nur hierzulande mit Schwierigkeiten verbunden sei. Allerdings gibt es natürlich Regionen und Länder, in denen das Potenzial der erneuerbaren Energien den heimischen Energiebedarf deutlich übersteigt.

Damit wären wir bei der Frage nach der europäischen und internationalen Dimension der deutschen Wasserstoffambitionen. Der Aufbau eines Heimatmarktes für grünen Wasserstoff ist sicherlich ein sinnvoller erster Schritt. Die immensen und vielschichtigen Herausforderungen, die mit dem Aufbau eines internationalen Wasserstoffmarktes verbunden sind, erfordern aber ebenso frühzeitige Beachtung und politische Aktivität.

EU: Wichtige Ebene für gemeinsame Spielregeln und koordinierten Markthochlauf

Die EU spielt als Produktionsstandort für grünen Wasserstoff, als Koordinationsebene für den Marktaufbau und als übergeordnete Ebene der Energie- und Klimapolitik eine wichtige Rolle. Der Grüne Deal und dessen Auswirkungen auf legislative Maßnahmen und Initiativen auf EU-Ebene bieten in Verbindung mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Gelegenheit, wichtige Weichen auf europäischer Ebene zu stellen.

Deutschland sollte die Kommission ermuntern, eine EU-weite Strategie und einen Fahrplan für grünen Wasserstoff zu erarbeiten, um einen Rahmen für einen gemeinsamen Markthochlauf zu schaffen. Die Formulierung von Importmengenzielen für 2030, 2040 und 2050 könnte dabei ein wichtiges Signal an mögliche Exportländer geben. Die Entwicklung eines ambitionierten EU-weiten Zertifizierungssystems für Wasserstoff und PtX-Produkte, das auch außerhalb der EU als Referenz dienen kann, sollte vorangetrieben werden. Die anstehenden Reformen des Gasmarktdesigns, der Energiebesteuerungsrichtlinie, der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen und des Rahmens für die Infrastrukturentwicklung (um nur einige zu nennen) definieren das Spielfeld, auf dem sich der Markt für grünen Wasserstoff in den kommenden Jahren entwickeln wird.

Außerdem ist der Aufbau der von der Kommission angekündigten Europäischen Wasserstoff-Allianz zur Entwicklung europäischer Wertschöpfungsketten für grünen Wasserstoff intensiv zu unterstützen. Die Einrichtung eines oder mehrerer wichtiger Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) zu grünem Wasserstoff sollte vorangetrieben werden. Und die Erzeugungspotenziale grünen Wasserstoffs in der EU und in benachbarten möglichen Exportregionen sollten intensiv erkundet werden um nur einige Handlungsmöglichkeiten zu nennen.

Herausforderungen der Wasserstofferzeugung in der europäischen Nachbarschaft

Internationale Produktionsstandorte für grünen Wasserstoff werden aus guten Gründen prioritär in der europäischen Nachbarschaft gesucht, da der Transport einen relevanten Kostenfaktor darstellt. Vor allem die MENA-Region (Middle East and North Africa) steht hier im Fokus. PtX-Produkte wie synthetische Kraftstoffe, Ammoniak oder Methanol können grundsätzlich günstiger und mit Hilfe bestehender Infrastruktur über weite Strecken transportiert werden.

Politische Stabilität, ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit und effektive Institutionen sind wichtige Standortfaktoren für Investitionen. Abstriche in diesen Bereichen wirken sich ungünstig auf die Investitionsbereitschaft aus und erhöhen die Kapitalkosten. Außerdem spielen Sicherheitsaspekte beim Aufbau und Betrieb von Pipelines, die einen kostengünstigen Transport von Wasserstoff ermöglichen würden, eine wichtige Rolle. Die Verbesserung der Investitionsbedingungen ist ein langwieriger und schwieriger Prozess, wie die Erfahrungen beim Ausbau Erneuerbarer und bei der Entwicklungszusammenarbeit im Allgemeinen zeigen.

Nicht zuletzt durch die Erfahrungen mit Desertec wird von vielen Seiten darauf hingewiesen, dass die Interessen der Exportländer unbedingt berücksichtigt werden müssen. Das ist richtig. Die Tragweite dieses Vorsatzes ist aber nicht zu unterschätzen. Während in den am wenigsten entwickelten Ländern zuerst der flächendeckende Zugang zu Elektrizität sichergestellt werden muss, könnten energiewendeambitionierte Länder wie Marokko ein Interesse haben, den Strom aus Erneuerbaren und auch den grünen Wasserstoff selbst zu nutzen. Die Berücksichtigung sozialer Dimensionen, wie die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort, sei hier ebenfalls erwähnt.

Der Aufbau internationaler Wertschöpfungsketten für Wasserstoff und PtX-Produkte hat auch eine sicherheits- und geopolitische Dimension. So könnten neue Perspektiven für die derzeitigen Exporteure fossiler Energieträger wie Russland und Saudi-Arabien geschaffen werden. Vor allem die Beziehungen zu Russland sind für Deutschland von höchstem sicherheitspolitischem Interesse. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sich Deutschland zumindest in einer Übergangsphase offen für blauen und türkisen Wasserstoff zeigen sollte. Derartige Übergangslösungen sind aber nur dann von Nutzen, wenn sie tatsächlich schneller wirtschaftlich sind als grüner Wasserstoff, die Verbreitung der langfristig nachhaltigen Technologien nicht behindern und wenn ihre THG-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette ehrlich bilanziert werden.

Globale THG-Bilanz im Blick behalten

Zu guter Letzt soll hier daran erinnert werden, dass der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und der EU schlussendlich dazu dient, die Ziele des Pariser Übereinkommens zu erreichen und damit den globalen Klimawandel zu begrenzen. Aus diesem Grund ist beim Aufbau großer Erzeugungskapazitäten für erneuerbaren Strom und grünen Wasserstoff im Ausland immer zu prüfen, ob eine direkte lokale Nutzung nicht vorteilhaft wäre, z.B. solange Kohle einen signifikanten Beitrag zur Stromerzeugung in Marokko leistet.

Dieser Artikel erschien zuerst am 17. März 2020 im Tagesspiegel Background Energie & Klima.

 

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