Headline: Industrie 4.0 – Effizienzwunder oder Ressourcenschleuder?

Digitalisierung hat ein großes Potenzial, den Ressourcenverbrauch in der Industrie zu verringern.
Digitalisierung hat ein großes Potenzial, den Ressourcenverbrauch in der Industrie zu verringern. Adobe Stock/besjunior

Seit seiner Etablierung im Jahr 2011 hat der Begriff Industrie 4.0 sowohl national als auch international eine rasche Verbreitung erfahren. Industrie 4.0 basiert auf vernetzten digitalen Prozessen, bei denen Fertigungssysteme und Objekte informationstechnisch miteinander verknüpft sind und kontinuierlich Informationen austauschen. Die Fertigung wird dabei von dezentral miteinander verbundenen und interagierenden Maschinen übernommen, die dazu befähigt sind, sich flexibel selbst zu organisieren und optimieren. Industrie 4.0 steht somit für eine grundlegende Transformation des produzierenden Gewerbes.

Gleichzeitig hat die Industrie erheblichen Einfluss auf Nachhaltigkeit: Laut Internationaler Energieagentur zeichnete der Sektor 2016 für 41,6% des globalen Elektrizitäts  und sogar 79,8% des Kohleverbrauchs verantwortlich. Als Akteure mit gesellschaftlicher Verantwortung sind Unternehmen auch wichtige Akteure im Transformationsprozess in Richtung nachhaltiger Entwicklung. Dies gilt im besonderen Maße für multinational agierende Konzerne, die oft auch in Ländern ohne hinreichende Sozial- und Umweltstandards tätig sind. Die Digitalisierung industrieller Produktion kann also nicht losgelöst von der Debatte zur nachhaltigen Entwicklung gesehen werden.

Gerade in der Frühphase des Begriffs Industrie 4.0 wurden häufig hohe Erwartungen hinsichtlich des Ressourcen-Einsparpotentials artikuliert. Diese Erwartungshaltung in Bezug auf mehr Ressourceneffizienz durch Industrie 4.0 spiegelt sich auch im internationalen Kontext wider (1). Dieser Artikel setzt sich kritisch mit diesen Erwartungen auseinander und beleuchtet Ressourceneffizienz von zwei Seiten: Zum einen versprechen einzelne Technologien direkte Effizienzgewinne, zum anderen kann ein digital unterstütztes Nachhaltigkeitsmanagement dabei helfen, Ressourcen-Einsparpotentiale zu identifizieren und umzusetzen.

Ressourcen-Einsparpotentiale

Aufgrund der Forschungslage sind im Energiebereich die höchsten Ressourcen-Einsparpotentiale zu erwarten. Dort werden Software-Lösungen entwickelt, die Daten aus der digitalisierten Produktion erfassen und aggregieren, um für mehr Transparenz in Bezug auf den maschinellen Energieverbrauch zu sorgen sowie Mitarbeiter*innen zu befähigen, die Produktion in Abhängigkeit des Energieverbrauchs und aktueller Stromtarife flexibel zu steuern. Vielversprechend ist auch der Ansatz, die produktionsseitige Flexibilität von Industrie 4.0 mit der hohen Volatilität erneuerbarer Energien in Einklang zu bringen, indem Produktionsprozesse gezielt so zeitlich verschoben werden, dass ihr Energiebedarf am größten ist, wenn erneuerbare Energie in hohem Maße verfügbar ist. Auch in der Robotik wird zudem an Energieeffizienz gearbeitet, indem RoboterAktionen nicht wie bisher so schnell wie möglich, sondern nur so schnell wie nötig durchführen. Dieser Ansatz kann Energieeinsparungen von bis zu 30% mit sich bringen (2). Dies ist im Hinblick auf Industrie 4.0 besonders relevant, da zum einen die Zahl global verwendeter Roboter stetig zunimmt und andererseits die zeitliche Taktung von Produktionsprozessen durch digitalisierte Steuerungsmechanismen ohnehin flexibler wird.

Auf Seiten der Materialeffizienz ist die Evidenz nicht so eindeutig. Durch das Verwenden moderner Fertigungstechnologien, wie des 3D-Drucks, können Rohstoffe sparsamer eingesetzt werden. Allerdings werden diese Produkte auf absehbare Zeit voraussichtlich nur marginale Marktanteile erreichen, weshalb die Material-Einsparpotentiale durch Industrie 4.0 bislang quantitativ kaum eine Rolle spielen.

Den Einsparpotentialen stehen erhebliche Mehraufwände an Ressourcen bei der Umsetzung von Industrie 4.0 gegenüber. Zum Beispiel müssen alle an der Produktion beteiligten Fertigungssysteme mit Sensorik, Aktoren, Prozessoren und Kommunikationstechnik nachgerüstet oder durch moderne Systeme komplett ausgetauscht werden, um Datenerhebung und  transfer zu ermöglichen. Die erfassten Daten müssen zudem auf Servern verwaltet werden, die Kühlung benötigen und schon heute ca. zwei Prozent% des Stromverbrauchs verantworten (3).

Potentiale für das betriebliche Nachhaltigkeitsmanagement

Das Nachhaltigkeitsmanagement unterstützt Unternehmen, das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung in die eigene Kultur, Strategie, in Strukturen und Prozesse zu integrieren. Transparenz im Hinblick auf Unternehmensaktivitäten und -entscheidungen zu schaffen, ist ein zentrales Kriterium für das nachhaltige Unternehmensmanagement. Nach außen gelebte Transparenz der Unternehmen, beispielsweise in Form von Nachhaltigkeitsberichten, kann die Einbindung von Interessengruppen (Stakeholdern) des Unternehmens unterstützen und soll die Glaubwürdigkeit und Reputation des Unternehmens sicherstellen.

Transparenz im Hinblick auf Produktionsprozesse versprechen auch verschiedene Industrie 4.0-Szenarien, die auf der durchgängigen Verknüpfung aller Prozessebenen des Unternehmens über verschiedene Unternehmensstandorte und sogar zwischen verschiedenen Unternehmen der Wertschöpfungskette beruhen und sich zum Teil auch aufgrund des kontinuierlichen Datenaustauschs über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg erstrecken. Dies ergibt ein weitreichendes Potential für das Nachhaltigkeitsmanagement.

Die Frage, wie eine gesteigerte Transparenz über Produktionsprozesse für ein effektives Nachhaltigkeitsmanagement genutzt werden kann, kann aus verschiedenen disziplinären Perspektiven heraus betrachtet werden. Diesen multidisziplinären Ansatz verfolgt die vom BMBF geförderte Nachwuchsforschergruppe ProMUT (Transformative Potentiale digital-vernetzter Produktion für Mensch, Umwelt und Technik). Aus einer informationstechnisch-wissenschaftlichen Perspektive wird darin erforscht, wie Daten über ökologische Wirkungen von Produkten und Prozessen in betriebliche Softwaresysteme eingespeist und wie flexiblere Formen der digitalisierten Produktion unter Nachhaltigkeitskriterien wie dem Ressourcenverbrauch optimiert werden können. Die Identifikation und Einbindung von Stakeholdern wird dabei als notwendige und wichtige Voraussetzung betrachtet, um zu einem effektiven und breit akzeptierten Nachhaltigkeitsmanagement beizutragen.

Aus einer gesellschaftswissenschaftlichen Perspektive kann Industrie 4.0 auch im Sinne einer Eröffnung neuer Informations-und Austauschwege sowohl zwischen und innerhalb von Organisationen als auch mit ihren Stakeholdern betrachtet werden. Digitalisierung wird auch die Globalisierung mit prägen, in dem der klassische Großhandel durch den E-Commerce auch für kleinere und mittlere Unternehmen geöffnet werden kann. Wie sich dies auf indirekte Ressourcenverbräuche, die beispielsweise im Logistikbereich entstehen, auswirkt, muss ebenfalls erforscht werden.

Fazit

Was lässt sich aus den bisherigen Untersuchungen ableiten?

  • Es gibt eindeutige Potentiale für Energie- und Materialeinsparung durch den Einsatz digitalisierter Technologien wie 3D-Druck oder bei der Orchestrierung von Robotern. Industrie 4.0 ist aber keine Einzeltechnologie, sondern ein Konzept, in dem unterschiedliche Fertigungstechnologien, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Organisationsaspekte zusammenspielen. Verbesserungen einzelner Teilaspekte lassen nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf die Gesamtbilanz zu. Von daher sind systemische Studien, die eine ganze Wertschöpfungskette umfassen, notwendig, um den Nettoeffekt im Sinne von Energie-und Materialeinsparung zuverlässig abschätzen zu können. Die Nachhaltigkeitspotentiale zu untersuchen, die im Rahmen des Nachhaltigkeitsmanagements entstehen, bietet hier einen möglichen Ansatzpunkt.
  • Es gibt auch Anzeichen dafür, dass vollständig digital-vernetzte Produktionssysteme mehr Energie und Rohstoffe erfordern als ihre herkömmlichen Vorgänger. Dies liegt vor allem an Einbau und Betrieb zusätzlicher Sensoren, Steuereinheiten und Datenverarbeitungshardware.

Ob und wie weit die Digitalisierung zur ökologischen Entlastung der Produktion beiträgt, ist auch eine Frage des Gestaltungswillens. Die Potenziale sind zweifellos gegeben, sie entwickeln sich aber nicht von selbst, sondern müssen bewusst angestrebt werden.

Danksagung

Die Nachwuchsforschergruppe ProMUT (Förderkennzeichen: 01UU1705A) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Teil der Initiative “Sozial-ökologische Forschung“ gefördert.

Literatur

  1. Beier, G.; Niehoff, S.; Xue, B. (2018): More Sustainability in Industry through Industrial Internet of Things? In: Applied Sciences, 8, 219, doi:10.3390/app8020219.
  2. Riazi, S.; Bengtsson, K.; Bischoff, R.; Aurnhammer, A.; Wigstrom, O.; Lennartson, B. (2016): Energy and peak-power optimization of existing time-optimal robot trajectories. In: 2016 IEEE International Conference on Automation Science and Engineering, S. 321–327.
  3. Horner, N. C. (2016): Powering the Information Age: Metrics, Social Cost Optimization Strategies, and Indirect Effects Related to Data Center Energy Use. Dissertation 696.

Dieser Text ist die Kurzfassung des Artikel „Effizienzwunder oder Ressourcenschleuder? Industrie 4.0. auf dem Prüfstand“, der erstmals erschien in politische ökologie (Bd. 155): "Smartopia. Geht Digitalisierung auch nachhaltig?“, oekom verlag München, Dez. 2018, S. 64-69. www.oekom.de/zeitschriften/politische-oekologie.html

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