Headline: Die Geopolitik der Erneuerbaren. Eine neue, aber vertrackte Energiewelt

Eine Straße in Dschiddah, Saudi-Arabien: Auf dem Weg in eine klimafreundliche Zukunft wird die Welt nicht zwangsläufig demokratischer.
Eine Straße in Dschiddah, Saudi-Arabien: Auf dem Weg in eine klimafreundliche Zukunft wird die Welt nicht zwangsläufig demokratischer. schusterbauer.com / Shutterstock.com

Mit dem schnellsten Wachstum unter allen Energiequellen im Stromsektor sind die Erneuerbaren im Begriff, das Energiesystem von Grund auf umzukrempeln. Es besteht die Hoffnung, dass die Energiewende bedeutende soziale und wirtschaftliche Vorteile bringt, wie nachhaltige und bezahlbare Energie für alle, grüne Arbeitsplätze, wachsenden Wohlstand und ein besseres Leben für alle. Die Dekarbonisierung kann aber auch einige rein politische Folgen haben. Mit diesem Themenkomplex hat sich eine hochrangige internationale Gruppe beschäftigt; das Ergebnis ihrer Arbeit ist in dem neuen Bericht A New World The Geopolitics of the Energy Transformation (Eine neue Welt: Die Geopolitik der Energiewende) der IRENA, der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien, nachzulesen.

Gewiss ist der IRENA-Bericht nicht der erste Versuch, sich mit der Geopolitik der Dekarbonisierung auseinanderzusetzen. Zum Beispiel befasst sich ein 2018 erschienenes Buch mit der Geopolitik der Erneuerbaren, auch das Belfer Center der Harvard University hat eine Expertengruppe damit beauftragt, ähnliche Fragen zu untersuchen, die Zeitschrift Nature brachte einen Beitrag über die politischen Risiken der Dekarbonisierung, und eine neuere wissenschaftliche Arbeit liefert wichtige konzeptuelle Erkenntnisse über das Schicksal der erdölproduzierenden Volkswirtschaften, deren Geschäftsmodell dem Untergang entgegensehen könnte. Aber der Bericht der Global Commission ist der erste, den man als politisches Dokument bezeichnen kann. Welche Erkenntnisse bietet er uns?

Der Aufstieg der Erneuerbaren führt nicht automatisch zu einem gleichzeitigen Niedergang der Fossilindustrie

Eines muss vorausgeschickt werden: Der Bericht stellt die richtigen Fragen und beleuchtet mehrere wichtige Aspekte, darunter das Risiko der verlorenen Investitionen, die Probleme der Exporteure von fossilen Brennstoffen, die sich an eine Welt der Erneuerbaren anpassen müssen, sowie die Tatsache, dass sich Länder auf die bevorstehende Energiewende vorbereiten sollten. Jedoch legt der Bericht mehrere wesentliche Prämissen zugrunde, die fragwürdig erscheinen.

Erstens erliegt er dem Trugschluss, der Aufstieg der Erneuerbaren sei unausweichlich mit dem Niedergang der fossilen Industrie verbunden. Tatsächlich besagt ein verbreitetes Narrativ in der Debatte um die Energiewende, dass die fallenden Stückkosten der sauberen Energietechnik in Verbindung mit hohen Innovationsraten und starken Marktmechanismen letztlich die Erneuerbaren in den Energiemix schieben werden. Die Kosten für PV-Anlagen beispielsweise sind in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 70 Prozent gesunken, was auf Größenvorteile und rapiden technischen Fortschritt zurückzuführen ist. Das bedeutet aber noch nicht, dass die Erneuerbaren den Energiesektor reibungslos übernehmen werden. Vielmehr hat sich das System der fossilen Brennstoffe als bemerkenswert resistent erwiesen. Staaten klammern sich häufig an ihre fossile Infrastruktur, weil diese Arbeitsplätze, Wählerstimmen und ökonomische Renten sichert – und das gilt sowohl für die rohstoffreichen Länder als auch für die OECD-Staaten. Da Kosten und Nutzen der Energiewende ungleich verteilt sind, werden sich politische Entscheidungsträger nicht immer auf das pareto-optimale Ergebnis konzentrieren, das für ihr Land am besten ist (und auf lange Sicht für saubere Energie sorgt). Vielmehr geben sie den kurzfristigen Gewinnen einer etablierten Industrie, ineffizienten, aber gut organisierten (und lautstarken) Wirtschaftsektoren sowie Kapitalinteressen den Vorrang. Dies wird durch die Tatsache belegt, dass die Subventionen für fossile Brennstoffe 2017 mit 300 Milliarden Dollar rund doppelt so hoch ausfielen wie die Unterstützung für Erneuerbare Energien. Kurz gesagt: Es kommt auf die politische Ökonomie an, nicht auf die Stückkosten.

Ungleiche Wettbewerbsbedingungen für saubere Technologien

Zweitens existieren für saubere Technologien, die für den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind, global keineswegs einheitliche Wettbewerbsbedingungen. Ganz im Gegenteil, Staaten haben kohlenstoffarme Technologien in ihre Industriestrategien einbezogen, wobei der globale Norden (also im Wesentlichen die OECD-Staaten) und China bei der Anmeldung von Patenten und der Absicherung ihrer sauberen Technologiebranche immer einen Schritt voraus sind. Der Report erkennt dies an.  Da der Zeitgeist den Wirtschaftsnationalismus gegenüber dem Freihandel im Sinne Ricardos begünstigt, ist jedoch zu erwarten, dass dieser Trend noch an Zugkraft gewinnt, was tiefgreifende Folgen für die globale Wertschöpfungskette kohlenstoffarmer Technologien haben dürfte. Und da die Marktführer im Bereich saubere Technologien ihre wirtschaftlichen Vorteile sichern wollen, besteht die Gefahr, das Entwicklungsländer, die nur begrenzt Zugang zu wichtiger Energietechnologie haben, endgültig aus der globaler Arbeitsteilung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft herausfallen. Ähnliche Risiken bestehen für die Finanzierung der Dekarbonisierung: Von 279,8 Milliarden Dollar, die global in erneuerbare Energien investiert wurden, flossen nur 33 Milliarden Dollar in Entwicklungsländer außer China, Indien und Brasilien. Die Entwicklungsländer laufen also Gefahr, in der Sackgasse der Fossilwirtschaft stecken zu bleiben, während die reiche Welt einen grünen Weg einschlägt. Außerdem besteht die Gefahr, dass neue strukturelle Abhängigkeiten zwischen Anführern und Nachzüglern der Dekarbonisierung entstehen.

Drittens ergeben sich zwar bedeutende geopolitische Vorteile, wenn die Importe fossiler Brennstoffe heruntergefahren werden, wie etwa eine geringere Abhängigkeit von politisch fragwürdigen Ländern, dennoch bestehen zentrale Probleme fort. Ein Paradebeispiel sind die Währungsfluktuationen und Zahlungsbilanzprobleme, die mit der Umstellung von Molekülen auf Elektronen nicht verschwinden werden. Im Gegenteil, diese Risiken sind untrennbar mit Handelsungleichgewichten verbunden und könnten auch ins Spiel kommen, wenn der Handel mit erneuerbaren Energien oder auch kohlenstoffarmen Technologien wie vorgesehen in Schwung kommt. Während der Übergang zu einer klimafreundlichen Welt mit der Energie-Geopolitik von einst aufräumen könnte, werden die geoökonomischen Verhältnisse wahrscheinlich unverändert bleiben.

Die Energiewende kann dazu benutzt werden, Autokratien zu stützen

Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft verspricht zwar einerseits Vorteile für die Gesundheit und Sicherheit der Menschen, andererseits sorgt sie nicht zwangsläufig für mehr Demokratie. Der Wechsel von einem kohlenstoffintensiven zu einem kohlenstoffarmen Paradigma kann durchaus als partizipatorischer Prozess gestaltet werden, der Bürger und Gemeinden stärkt. Am Beispiel von Chinas Energiewendepolitik und Saudi-Arabiens Vision 2030 sieht man jedoch, dass dieser Prozess nicht zwangsläufig die Stellung der Bürger verbessert. Vielmehr kann er zu einem Werkzeug werden, das den bestehenden Gesellschaftsvertrag intakt hält und die (autokratische) politische Führung gegen die Anfechtungen absichert, die von einer unter Druck geratenen Fossilwirtschaft ausgehen. Hinzu kommen noch die enormen Datenmengen, die gesammelt werden müssen, um smarte, effizientere Netze zu installieren, und daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass politische Kontrolle und Repression zunehmen. Vorstellbar ist auch, dass wachsender innenpolitischer Druck erdölfördernde Staaten veranlassen könnte, regionale Konflikte auszutragen. Energiebezogene Konflikte werden, anders als der IRENA-Bericht vermuten lässt, nicht unbedingt unwahrscheinlicher.

Was lässt sich daraus ableiten? Insgesamt liegt die Bedeutung des Berichts der Global Commission in der Tatsache, dass er die geopolitischen Aspekte der Energiewende in den Vorgrund rückt. Zu kurz greift er, wenn es um die Folgen der Wende geht, das heißt die Frage, wer die Gewinner und wer die Verlierer sind, welche systemischen Risiken der Übergang in eine klimafreundliche Welt birgt, und wie wir ihnen begegnen können, sodass dieser Übergang ein Erfolg wird. Die wirkliche Arbeit fängt jetzt erst an.

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