Headline: Meine drei Meinungen zu den Wahlen

Für Görlitz als Hochschul- und Grenzstadt ist Abschottung eine Illusion. Dennoch könnte das Bürgermeisteramt an die AfD gehen.
Für Görlitz als Hochschul- und Grenzstadt ist Abschottung eine Illusion. Dennoch könnte das Bürgermeisteramt an die AfD gehen. Adobe Stock/Frank Krautschick

Der Wahlsonntag lässt mich glücklich, zweifelnd und verärgert zurück. Die Wahlbeteiligung ist gestiegen. Die Grünen gehen vielerorts als Gewinner hervor - Klima ist damit endlich Hauptthema. Der Aufstieg der AfD scheint an Dynamik zu verlieren, würde ich die Ergebnisse in Ostdeutschland ignorieren, aber das ist unmöglich.

Am Sonntag ging ich mit meinem dreijährigen Sohn in die nahegelegene Grundschule zum Wählen. Leider durfte er nicht sehen, wie ich mein Kreuz machte, aber zur Belohnung konnten wir danach ungestört auf dem Schulhof spielen. In Weißensee, meinem Berliner Kiez, liegen die Grünen bei der Europawahl mit 28 Prozent vor CDU 15 Prozent, Linke 14 Prozent und SPD 12 Prozent. Die AfD kommt auf 10 Prozent. Als Berliner bin ich glücklich, in meiner Stadt sind wir verantwortungsbewusste Europäer in der Mehrheit.

Seit 13 Jahren lebe ich in Berlin, aber geboren und aufgewachsen bin ich in Dresden. Diese Stadt liegt mir am Herzen, sie blüht und gedeiht an allen Ecken. Parallel zur Europawahl wurde hier der Stadtrat gewählt, in dem nun zum ersten Mal die Grünen (20,4 Prozent) die stärkste Fraktion stellen. Aber knapp hinter der CDU (18,3 Prozent) folgt schon die AfD (17,1Prozent). Dass die SPD hier nur auf 8,8 Prozent kommt, ist bitter, aber sie liegt damit in ihrem Trend. Die Stärke der AfD in dieser Stadt deutet darauf hin, dass wirtschaftlicher Wohlstand und Aufschwung allein kein Gegenmittel gegen die Rechten sind.

Als Sachse, der ich nun eben auch bin, schwindet meine Freude gänzlich. Bei der Europawahl wird die AfD mit 25,3 Prozent stärkste Kraft vor der CDU (23,0 Prozent). Das Signal an Europa ist: Wir wollen euch nicht, aber wir haben uns gerne fördern lassen.

In Brandenburg, meiner Arbeitsheimat, ist das Ergebnis ähnlich, nur dass hier die SPD nicht einstellig ist. Sachsen und Brandenburg scheinen die Hochburgen der AfD in ganz Deutschland zu sein. Damit wird die alte Leier von den Unbelehrbaren wieder zu hören sein, obwohl dieser Trend eher dem anderer europäischer Staaten entspricht.

In diesen beiden Ländern werden im Herbst die Landtage neu gewählt. Die Vorzeichen für die Regierungsparteien SPD und CDU stehen denkbar schlecht, denn ohne die AfD werden sich neue Koalitionen nur mühsam bilden lassen. Die CDU könnte es in Sachsen zerreißen, denn die Versuchung mit der AfD zusammenzuarbeiten ist groß, gerade wenn Ministerpräsident Kretschmer durch die Wahl geschwächt werden sollte.
Schaut man die Kommunalwahlen in beiden Ländern genauer an, sind die Ergebnisse viel diverser. In Brandenburg liegen hier CDU und SPD vor der AfD, die wiederum in vielen Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen stärker vertreten sein wird. Aber wenn auf der lokalen Ebene weltoffene Demokraten ihre Hüte in den Ring werfen, dann haben sie gute Chancen, gewählt zu werden. In der Kommune begegnen sich Bürger und Mandatsträger, sie kennen einander und müssen ihre Konflikte miteinander austragen. Sachverstand und Empathie statt Borniertheit und Hetze sind gefordert und werden honoriert.

Gerade deswegen habe ich als Wissenschaftler und Ostdeutscher Zweifel, ob der eingeschlagene Weg in der Bewältigung des Strukturwandels in der Lausitz funktionieren wird. Das Bundeskabinett beschloss gerade kurz vor diesem Wahlsonntag die Eckpunkte des Strukturstärkungsgesetzes: Etwa 20 Milliarden Euro sollen bis 2038 in die Lausitz fließen, um den Kohleausstieg und den Übergang in andere Wirtschaftszweige zu ermöglichen. Doch in allen sieben Landkreisen in der Lausitz liegt die AfD vorn, eine Partei, die den Klimawandel leugnet und den Kohlausteig verteufelt. In Jänschwalde in Brandenburg, einem der Kraftwerksstandorte, bekommt die AfD mit 36 Prozent bei der Kommunalwahl mehr als CDU und SPD zusammen.

Der Strukturwandelpolitik von SPD und CDU wird in der Region nicht vertraut. Der notwendige Kohleausstieg reaktiviert bei vielen Lausitzer*innen Erfahrungen und Ängste der 1990er Jahre. Damals fielen auf dem raschen und schmerzhaften Weg in die Marktwirtschaft tausende Industriearbeitsplätze ersatzlos weg. Bis heute suchen die Region und ihre Bewohner nach einer Identität jenseits der Kohle.
Bahnschienen, Straßen und wissenschaftliche Einrichtungen mit Milliarden zu fördern reicht nicht aus. Weder befähigt es jene, die in der Region aktiv und innovativ sind. Noch befriedet es die Ängstlichen. Vielmehr müssen Bürger*innen mit ihren spezifischen Biographien adressiert und als Gestalter*innen ihres eigenen Lebens befähigt werden.

So ist die Suche von Zukunftsideen für die Lausitz im Rahmen des Leitbildprozesses eine Chance, Bürger*innen aktiv zu beteiligen. Doch schon hier zögern Länder und Kommunen, wie unsere Forschung zeigt, sich aktiv einzubringen, weil sie den Blick ausschließlich auf die Milliarden des Bundes und nicht auf ihre Bürger*innen richten. Irland hat es vorgemacht, wie mit Bürgerversammlungen Verantwortungsgemeinschaften entstehen. Genau diese braucht es im Strukturwandel. Zeit ist dafür da und Geld anscheinend auch. Darin besteht das Dilemma: Je länger es dauert, Bürger*innen zu Akteuren ihrer eigenen Belange zu machen, desto öfter und zahlreicher werden sie aus Protest oder Überzeugung die AfD wählen.

In Görlitz wird es einen zweiten Wahlgang für das Oberbürgermeisteramt geben. Franziska Schubert, eine junge, ostdeutsche Grüne, hatte in der ersten Runde immerhin 27 Prozent und damit Platz drei Hinter den Kandidaten der AfD und der CDU belegt. Zum ersten Mal kann nun ein Bürgermeisteramt einer größeren Stadt an die AfD gehen. Für die Stadt wäre das verheerend, weil sie als Hochschul- und Grenzstadt von Vielfalt und Aufbruch zeugt und Abschottung jeder Art eine Illusion ist. Junge, oft heimatverbundene Kreative nutzen hier Räume wie das Kühlhaus, um neue Formen des Lebens und Arbeitens auszuprobieren. Von einer gealterten, konservativen Mehrheit werden diese Ansätze wenig honoriert.
Meine Zweifel zu dieser Wahl speisen sich aus genau dieser Beobachtung: Es fehlen im Osten jenseits der Metropolen zu viele aus den Jahrgängen 1970 bis1990. Sie sind mit guten Gründen oder im Schlepptau ihrer Eltern in die Welt gegangen. Natürlich sind nicht alle weg, denn gerade unter den Aktiven findet man auch diese junge Generation.

Aber in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Dresden sind noch viel mehr - so wie ich in meiner Berliner „Blase“. Sie fehlen aber im Osten als Wähler*innen, als Bürger*innen, als Bindeglieder zwischen den Zentren und der Peripherie und vor allem zwischen den Generationen. Das Bedürfnis dieser Generation ist groß, die Verbindungen in die Herkunftsregionen (wieder) zu intensiveren. Die Wahlergebnisse aber sind das fatale Signal an die junge Generation: Wir brauchen euch, aber wir wollen euch nicht, wenn ihr irgendwie anders seid als wir.

Eine Version dieses Artikels erschien am 28. Mai 2019 im Tagesspiegel und den Potsdamer Neuesten Nachrichten.

 

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