Headline: Ehrlichkeit gepaart mit Optimismus: eine Einschätzung zum IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel

Alaska aus der Luft: Wissenschaftler der NASA haben untersucht, wie sich der Wasserstand in der arktischen Landschaft beim Auftauen des Permafrostes verändert. Die Veränderungen des Wasserspiegels werden in naher Zukunft Auswirkungen auf das arktische Leben - Pflanzen, Tiere und Menschen - haben.
Alaska aus der Luft: Wissenschaftler der NASA haben untersucht, wie sich der Wasserstand in der arktischen Landschaft beim Auftauen des Permafrostes verändert. Die Veränderungen des Wasserspiegels werden in naher Zukunft Auswirkungen auf das arktische Leben - Pflanzen, Tiere und Menschen - haben. NASA Goddard Space Center/Peter Griffith, CC BY 2.0

Wie unterscheidet sich der Bericht von früheren Berichten des IPCC?

Der wesentliche Unterschied zu früheren Berichten des Weltklimarates (IPCC) ist die voranschreitende Zeit: Gemäß den Zahlen des letzten Sachstand-Berichtes haben wir mittlerweile die verbliebene Menge CO2 (das sogenannte CO2-Budget) für das 1,5-Grad Ziel aufgebraucht und dürften demzufolge eigentlich keine einzige Tonne CO2 mehr emittieren. Im letzten Bericht wurde dem 1,5-Grad Ziel nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, da zu wenige Studien sich überhaupt mit einem derart ambitionierten Szenario auseinandergesetzt hatten. Dies hat sich mit dem Pariser Abkommen und dem Auftrag an den IPCC für diesen Bericht drastisch verändert: Mehr und mehr Studien haben sich mit der Frage befasst, wie das Ziel noch erreichbar sein könnte.
Die Ergebnisse sind im Grunde ähnlich – nur läuft uns die Zeit davon. Mehr und mehr Beobachter schätzen es als extrem unwahrscheinlich ein, dass wir es noch in die Nähe von 1,5 Grad schaffen – ohne den Einsatz kontroverser direkter Klimaeingriffe, welche direkt die Energiebilanz des Planeten verändern würden, indem sie einen kleinen Teil des Sonnenlichts wieder ins All reflektieren oder die Menge der Sonnenstrahlung erhöhen, die zurück ins All entweicht. Gängige Begriffe dafür sind Solar Radiation Management, kurz SRM, oder Solar Geoengineering.
Diese Eingriffe werden in dem Bericht zwar unter dem Begriff „Solar Radiation Modification" erwähnt, jedoch als zu unsicher abgetan. Das ist in Anbetracht der notwendigerweise zurückhaltenden Herangehensweise des IPCC völlig verständlich, da sich immer noch relativ wenig Forschung ernsthaft mit den Möglichkeiten des SRM auseinander setzt. Ich beobachte jedoch eine zunehmende Anzahl auf Klimamodellen basierender Studien, die immer wieder zum Ergebnis kommen, dass ein partielles Gegensteuern durch SRM den Klimawandel besser im Zaun halten und möglicherweise viel Leid und Schaden vermeiden könnte. Dieselben Studien stellen aber auch ausnahmslos fest, dass SRM unter keinen Umständen ein Ersatz zur CO2-Reduktion und CO2-Abscheidung sein könnte, sondern nur als risikomindernde Ergänzung sinnvoll wäre.

Welche politischen Signale gehen von dem Bericht aus?

Im Kontext der internationalen Klimapolitik hat der Sonderbericht vor allem eine Funktion: aufzurütteln. Der Bericht des IPCC zeigt auf, dass uns das 1,5-Grad-Ziel, welches in Paris verwundbaren Bevölkerungen Grund zur Hoffnung gegeben hat, gerade durch die Finger gleitet. Wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht sofort massiv zupackt, ist das Ziel nicht mehr zu erreichen. Eine im Bericht meines Wissens nicht zitierte Studie fand letztes Jahr eine einprozentige (1%) Wahrscheinlichkeit, dass die Erwärmung bei einer Fortsetzung der bisherigen Trends bei 1,5 °C bleiben würde. Die Staatengemeinschaft ist noch nicht einmal auf dem Weg zum weniger ambitionierten 2-Grad-Ziel; wenn die heute gültigen national erklärten Ziele (die sogenannten NDCs) unverändert umgesetzt werden, haben wir im Jahr 2100 eine Erwärmung von rund 3 °C zu erwarten – und später noch mehr. Dies ist jedoch kein Grund aufzugeben, denn Millionen von Menschen sind in ihrer Existenz von einer robusten Klimapolitik abhängig. Der Bericht stellt deutlich fest, dass eine Erwärmung von 1,5 °C wesentlich weniger Leid und Schaden verursachen würde als eine Erwärmung von 2 °C. Es gibt keine Zweifel: Die Schritte dafür müssen sofort unternommen werden.

Inwiefern ist es weiterhin sinnvoll, über das 1,5-Grad-Ziel oder das 2-Grad-Ziel zu sprechen - muss eingestanden werden, dass diese kaum noch zu erreichen sind?

Zur Erreichung des 1,5-Grad-Zieles mit bisherigen Mitteln der CO2-Emissionsminderung sind drastische Maßnahmen notwendig, für die unter den historischen Beispielen von gesellschaftlichen Transformations-Anstrengungen möglicherweise nur noch Kriegsaufrüstungen herhalten können. Die überwiegende Mehrheit der Szenarien geht davon aus, dass künftig zusätzlich Milliarden von Tonnen von CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden– durch massive Nutzung von Bioenergie und CO2-Abscheidung oder der Abscheidung und Speicherung von CO2 direkt aus der Luft mit den entsprechenden Kosten. Beide Ansätze können jedoch in dieser Größenordnung problematisch sein und sind aufgrund mangelnder Attraktivität bisher von der Politik weitgehend ignoriert worden. Die Bioenergie-Nutzung bringt potentiell massive Landnutzungskonflikte mit sich, und das direkte Abscheiden von CO2 braucht viel Energie und ist heute noch viel zu teuer und mit viel zu wenig Forschungsmitteln bestückt. Die Politik dürfte sich eigentlich nicht auf solche Ansätze verlassen, ohne das dafür Nötige zu unternehmen, und doch tut sie das jedes Mal, wenn wir unsere Chancen für das 1,5-Grad-Ziel oder 2-Grad-Ziel ausrechnen.

Was sollte in dieser Situation unternommen werden?

Die IPCC-Autoren waren mit der brenzligen Situation konfrontiert, dass das 1,5-Grad-Ziel, dessen Erreichung möglicherweise für Millionen existenzsichernd sein könnte, selbst bei einer großen Anstrengung der Politik zur Reduktion und Entfernung von CO2 praktisch schon außer Reichweite ist. In Gesprächen mit Kollegen in der Klimaforschung zeigt sich mir immer wieder, dass viele es als unethisch betrachten, sich auch nur die Möglichkeit einzugestehen, dass ein alleiniges Weiterverfolgen der bisherigen Maßnahmen eventuell zu einer Zielverfehlung führen könnte: Viele Kollegen vermuten, dass das Äußern von Zweifeln das politische Moment zur Zielverfolgung untergraben würden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist kaum zu beantworten und ein pragmatischer Optimismus hat auf jeden Fall seinen Stellenwert. Jedoch hat die Gesellschaft meines Erachtens ein Recht darauf, von der Wissenschaft vollumfänglich informiert zu werden: Wir sollten uns alle der risikogeladenen Zukunft bewusst sein, auf die wir zugehen, und unsere Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf das bestmögliche Szenario beschränken. Wir würden demnach nicht gut daran tun, gewisse Optionen für Emissionsminderungen, Anpassungen, CO2-Abscheidungen und das solare Geoengineering (SRM) verfrüht auszuschließen, selbst wenn sie auf den ersten Blick problematisch erscheinen und mehr Forschung bedürfen. Wer sich mit Finanzanlagen beschäftigt, weiß um die Notwendigkeit der Diversifizierung im Umgang mit Risiken.

Der komplette Bericht kann hier auf der Website des IPCC aufgefunden werden.

 

Kommentare

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Gast am 13.10.2018 - 12:38

Folgender Satz erschreckt mich:

"Zur Erreichung des 1,5-Grad-Zieles mit bisherigen Mitteln der CO2-Emissionsminderung sind drastische Maßnahmen notwendig, für die unter den historischen Beispielen von gesellschaftlichen Transformations-Anstrengungen möglicherweise nur noch Kriegsaufrüstungen herhalten können."

Ich hoffe, dahinter steckt nicht die Überzeugung, dass vergleichbare radikale (- oder historisch mit sehr problematischer Konnotation versehende: totale) Aktionen gefordert werden. Die Möglichkeit, (a) eine Begrenzung von Klimaveränderungen auf 1,5 oder 2 Grad durch globale Anstrengungen zu erreichen und (b) damit die Lebensbedingungen von Millionen Menschen zu stabilisieren, rechtfertig m. E. keine totale Fixierung.

Begründung: Eine Bindung aller Ressourcen an die CO2äguiv.-Reduzierung könnte viele andere notwendige lebenssichernde Aktivitäten gefährden. So hat beispielsweise die Industrialisierung und die Entwicklung der Wissenschaft einen medizinischen Fortschritt geschaffen und auch dessen Anwendung finanziert, die hunderte Millionen Menschen-Leben gerettet hat. Alle Klimaschutz-Aktivitäten müssen in Abwägung mit anderen für die Menschheit wichtigen Ziele abgewogen werden.