Headline: Innere Haltungen und Nachhaltigkeit: Interview mit Gerald Hüther

Kürzlich war bei uns am IASS Prof. Gerald Hüther zu Gast. Er ist Neuro-Wissenschaftler und Biologe an der Universität Göttingen und bekannt als Autor mehrerer erfolgreicher populärwissenschaftlicher Bücher über Hirnforschung und ihre Implikationen für unsere Gesellschaft. In einem Vortrag mit anschließendem Dialog sprach er über innere Haltungen – wie sie entstehen, wie sie nachhaltige Praktiken in der Gesellschaft fördern können und wie sie zu einer Kultur der Kooperation und Ko-Kreativität beitragen können. Das Treffen steht im Kontext des AMA-Projektes (A Mindset for the Anthropocene) des IASS und war Teil einer Reihe von Aktivitäten am IASS, die unter anderem den Austausch mit psychologischen, religiösen und spirituellen Perspektiven suchen, um ihren Blick und mögliche Beiträge zur Transformation zur Nachhaltigkeit kennenzulernen.

Gerald Hüther (2. von rechts) mit den IASS-WissenschaftlernZoe Lüthi und Thomas Bruhn sowie IASS-Direktor Mark G. Lawrence. (c) Thomas Bruhn

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen dem Verbrauch natürlicher Ressourcen  und der Beziehungskultur der Menschen in einer Gesellschaft?

Gerald Hüther: Alle lebenden Systeme folgen offenbar einem Grundprinzip der Selbstorganisation: Sie streben einen Zustand an, in dem die Beziehungen der Mitglieder so geordnet sind, dass der zur Aufrechterhaltung der Stabilität des betreffenden Systems erforderliche Energieaufwand minimiert wird. Je ungünstiger die Ordnung dieser Beziehungen ist, umso höher wird der Energieaufwand dieser Gemeinschaften. Deshalb könnte es sein, dass die Bemühungen um Nachhaltigkeit gar nicht dort ansetzen müssten, wo es um die Einsparung von Ressourcen und Energie geht, sondern dass diese Bemühungen dazu führen sollten, die Entstehung von Bedürfnissen zu verringern, die als Ersatzbedürfnisse entstehen, wenn Menschen in ihren grundlegenden Sehnsüchten keine Erfüllung finden. Und das wiederum würde heißen, man müsste Formen des Zusammenlebens finden, die dazu führen, dass Menschen glücklich sind. Das heißt im neurobiologischen Sprachgebrauch Kohärenz. Und je höher das Ausmaß an Kohärenz in einem sozialen System wird, desto geringer wird der zur Aufrechterhaltung dieses Systems notwendige Energieaufwand.

Was hat das aus Ihrer Sicht mit inneren Haltungen zu tun?

Gerald Hüther: Es geht ja darum, wie Menschen sich zueinander verhalten. Und dieses gesamte Verhalten von Menschen wird durch ihre im Laufe des Lebens erworbenen Haltungen bestimmt. Die wiederum sind das Ergebnis  der von einem Menschen im Laufe seines Lebens gesammelten Erfahrungen. Und das bedeutet zwangsläufig, dass es darauf ankäme, nicht das Verhalten von Menschen zu verändern, sondern dass wir versuchen müssten, Menschen Gelegenheiten zu geben, eine andere Haltung zu entwickeln. Und das kann nur gelingen, indem wir sie einladen, ermutigen und inspirieren, noch mal eine andere, und diesmal möglichst eine günstigere, Erfahrung mit sich selbst, mit Anderen, mit der Natur machen zu wollen.

Was ist Ihrer Ansicht nach vor diesem Hintergrund notwendig, um dieses zu ermöglichen? Und was könnte ein Institut wie das IASS konkret beitragen, um in diesem Bereich die gesellschaftliche Transformation zur Nachhaltigkeit zu unterstützen?

Gerald Hüther: Ich denke, es kommt darauf an, tatsächlich neue Ansätze  zu entwickeln, um dieses Bewusstsein von Nachhaltigkeit in breiten Bevölkerungskreisen zu schärfen und entsprechende Haltungen zu entwickeln, die dieses Bemühen dann auch Realität werden lassen. Und ich habe den Eindruck, dass das IASS hier ein Vorreiter werden könnte für eine ganz grundlegende globale Veränderung von Nachhaltigkeitsstrategien, indem Sie sich auf die Menschen konzentrieren, die mal wenig und mal viel Energie, mal wenig und mal viel Ressourcen verbrauchen, und indem Sie die entscheidenden Fragen stellen, wie zum Beispiel: Wie müssten Menschen ihr Zusammenleben gestalten, damit sie glücklicher und zufriedener sind. Dann würden sie auch weniger Ersatzbedürfnisse entwickeln und weniger Ressourcen und Energie verbrauchen.

Foto oben: istock/RobertSchneider

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