Headline: Der Volkswagen-Emissionsskandal aus wissenschaftlicher Sicht

Zum ersten Mal hörte ich vom VW-Skandal aus zweiter Hand, Medienberichte hatte ich noch nicht gelesen, war also nicht über die Fakten informiert. Aber ich erinnere mich, dass ich dachte (und sagte), keine Ahnung, was das Theater soll, es weiß doch jeder, dass diese Tests auf dem Rollenprüfstand, die für Emissionsschätzungen genutzt werden, nicht annähernd die realen Emissionswerte liefern. Dann las ich die Berichte und sah, warum dieser Wirbel entstanden war – 35mal höher als die US-Grenzwerte?! Und betrügerische Software, um den Test zu bestehen?! Nach einem Gespräch unter Kollegen beschlossen wir, uns die Sache genauer anzusehen und einige Modellierungsläufe durchzuführen, damit wir etwas über die Folgerungen für die Luftqualität sagen können.

Die Realität der Dieselemissionen in Europa

Zur Modellierung der Luftqualität benutzen wir in der Regel Emissionsinventare, die auf offiziellen Daten beruhen. Das heißt, sofern Regierungen davon ausgingen, dass die Emissionen der betroffenen Dieselfahrzeuge den Testergebnissen auf dem Rollenprüfstand entsprechen, würde man die Stickoxidemissionen (NOx) enorm unterschätzen. (In Wirklichkeit ist das jedoch nicht der Fall, darauf komme ich noch zurück.) Also vertiefte ich mich in die Daten, las den Originalbericht der West Virginia University (WVU), der vom International Council on Clean Transportation (ICCT) in Auftrag gegeben worden war, und fand Angaben über die Emissionsfaktoren (die pro gefahrenen Kilometer ausgestoßenen NOx), die den Experten ursprünglich als außerordentlich hoch aufgefallen waren. Dann zog ich einige Berichte zurate, die Emissionsfaktoren (nicht die Emissionsstandards) für unterschiedliche Fahrzeugtypen dokumentieren; auf diese Berichte können auch Regierungen für ihre offiziellen Emissionsmeldungen zurückgreifen. Außerdem sichtete ich die unterschiedlichen Emissionsstandards in Europa und den Vereinigten Staaten. Zunächst fällt auf, dass die Emissionsstandards in der EU sehr viel laxer sind als in den Vereinigten Staaten. Das war mir klar gewesen, aber ich hatte nie genau geprüft, wie weit sie auseinanderklaffen. Sogar mit Euro 6 werden die NOx-Standards für Diesel-Pkw noch doppelt so hoch liegen wie die Tier-2-Standards, die in den USA von 2004 bis 2009 galten. Dann verglich ich die Emissionsfaktoren. Als ich die gesamten Daten vor mir hatte, war ich zunächst überzeugt, ich hätte irgendetwas falsch gemacht – vielleicht versehentlich Gramm/Meile fehlerhaft in Gramm/Kilometer umgerechnet. Aber nein, die derzeitigen Schätzungen der Emissionsfaktoren für europäische Diesel-Pkw sind ziemlich miserabel. In einigen Fällen, zum Beispiel für Fahrten auf der Autobahn, waren die höchsten in der WVU-Studie gemessenenen Emissionsfaktoren tatsächlich niedriger als der Emissionsfaktor für die Autobahnfahrt, der für das Handbook Emission Factors for Road Transport gemessen wurde. Das konnte doch nicht korrekt sein.

Wie gut könnte unsere Luftqualität sein? Die Planung einer Studie

Abb. 1. Vergleich der gemessenen Emissionsfaktoren und Emissionsstandards. Für die Prüfwerte wird die Bandbreite der Emissionsfaktoren durch den schwarzen Balken (minimaler Emissionsfaktor) und den grauen Balken (maximaler Emissionsfaktor) dargestellt. Die Unterschiede bei den Emissionsfaktoren ergeben sich aus unterschiedlichen Fahrbedingungen, zum Beispiel Stadtverkehr, Landstraße oder Autobahn.

Verglichen mit den erwarteten Emissionsfaktoren für Autos, die nach dem Euro-6-Standard gebaut werden, lagen die WVU-Daten um den Faktor 2 bis 10 höher, aber das reicht längst nicht an die 35mal höheren Werte im Vergleich zum US-Standard heran. Für die EU-Emissionen ist das ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Den Vergleich habe ich grafisch dargestellt (Abb. 1), was den Sachverhalt verdeutlicht. Aber auch das ist keine große Enthüllung. In Gesprächen mit Kollegen in verschiedenen Regierungsbehörden wird klar: Sie wissen sehr wohl und beklagen die Tatsache, dass die derzeitige Flotte und die Euro-5-Standards nicht geliefert haben, was in puncto NOx-Emissionsreduzierung versprochen wurde. Ich meine, diese Grafik aus dem European Vehicle Market Statistics Pocketbook des ICCT bringt das recht klar zum Ausdruck. In der Grafik (Abb. 2) zeigt die von roten Pünktchen eingefasste Wolke, wie hoch die Emissionen europäischen Standards zufolge sein sollten; die graue Wolke zeigt die tatsächlich gemessenen Emissionen. Und wie ich festgestellt habe, spiegelt der Vergleich der gemeldeten Emissionsfaktoren diesen Sachverhalt wider.

Also werden wir die Sache weiter verfolgen, um zu sehen, was der Emissionszuwachs (wenngleich ein geringerer, als wir ursprünglich dachten) für die Luftqualität bedeutet. Bei einem Gespräch unter Kollegen kamen wir allerdings zu dem Schluss, dass die weit interessantere Frage lauten dürfte, wie gut unsere Luftqualität in Europa sein könnte, wenn die Kraftfahrzeuge tatsächlich die existierenden und geplanten Standards erfüllen würden?

Wenn wir unsere Studienergebnisse haben, freuen wir uns über Rückmeldungen – ich bleibe dran und berichte, was wir feststellen.

Abb. 2. Unterschiede zwischen den Grenzwerten des Euro-Emissionsstandards (Wolke in rot gepunkteter Linie) und den tatsächlichen, während der Fahrt gemessenen Werten (graue Wolke). Quelle: http://www.theicct.org/european-vehicle-market-statistics-2014, S. 74

Header-Foto: istock/luckyraccoon

Kommentare

Gast am 19.06.2016 - 00:00

Tolle Hintergrundinfo, viel besser als das was die Presse veröffentlicht.

Politisch verständlich, wie niedrigere Grenzwerte und real viel geringerer Rückgang auseinanderklaffen. (wie in Abb. 2 zu sehen.)

Für die Wähler verspricht die Entwicklung der Euro Normen eine Reduzierung der Abgase von 0.5 auf 0.08 = 84% Reduzierung.

Geliefert wird eine Reduzierung von 1.0 auf 0.6 = 40% Reduzierung.

Interessant wäre, zu prüfen, ob die Dynamik des Auseinanderdriftens von Anspruch und Wirklichkeit zunimmt.

Euro 3 (2000): Faktor 2
Euro 4 (2005): Faktor 3.2
Euro 5 (2009): Faktor 4.4
Euro 6 (2014): Faktor 7.5

Fazit: sieht nach einem exponentiellem Wachstum aus.

In der Wirtschaft würde man das Hockeyschläger-Effekt nennen: Prinzip: Wer seine Ziele nicht erreicht verspricht um so mehr für die Zukunft.

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