Headline: Nachhaltigkeitsaspekte von Industrie 4.0

Kann man Ingenieur sein und „trotzdem“ an den großen Fragen der Menschheit miträtseln?

Diese Frage stellte (s)ich mir, als ich letztes Jahr nach einigen Jahren im klassischen Ingenieurwesen zu neuen beruflichen Ufern aufbrechen wollte. Dass es für Ingenieure weder einen Nobelpreis noch ein Äquivalent zur Fields-Medaille zu gewinnen gibt – geschenkt. Aber ist es nicht paradox, dass quasi jeder Mensch in der westlichen Hemisphäre sein leibliches Wohl täglich Ingenieursprodukten anvertraut (zum Beispiel durch Highspeed-Transport mit Auto, Flugzeug, Bahn oder Bus), diese Berufsgruppe aber im Diskurs über die wirklich großen gesellschaftlichen Fragen keine Rolle spielt??

Da ich mich aber irgendwie schon immer mehr für die großen als die mechanischen Fragen interessiert habe, musste ein Mittelweg her. Da kam eine Ausschreibung des IASS zum richtigen Zeitpunkt: Nachhaltigkeitsaspekte von Industrie 4.0. Das klang nach einer spannenden Symbiose von Ingenieurswissen und einer übergeordneten großen Frage von gesellschaftlicher Relevanz.

Was versteht man unter Industrie 4.0?

Unter dem Terminus Industrie 4.0 versteht man im Wesentlichen die zunehmende Verschmelzung der physischen Welt der industriellen Produktion mit der digitalen Welt der Informationstechnik. Industrie 4.0 ist somit eine Ausprägung vom häufig zitierten Internet der Dinge. Im Kontext industrieller Produktion kann das zum Beispiel bedeuten, dass Materialien, Bauteile und Maschinenkomponenten eindeutig identifizierbar sein müssen, mit Sensoren und Aktoren ausgestattet werden und jeweils über eine Internetverbindung verfügen. Darüber können sie miteinander kommunizieren und Daten austauschen. Dies ermöglicht unter anderem eine effizientere und flexiblere Produktion, in der sich Maschinen bei Bedarf selbst organisieren und Produkte noch besser auf die Wünsche der Kunden zugeschnitten werden können. Da es sich bei Industrie 4.0 um eine technologische Umwälzung in großem Maßstab handelt, spricht man auch von der vierten industriellen Revolution – daher auch der etwas sperrige Name mit IT-Konnotation.[i][ii]

Nicht ganz unwesentlich zu erwähnen: das ganze Konzept Industrie 4.0 ist momentan noch nicht viel mehr als eine Prognose einiger Experten aus der Technikwelt für die mittelfristige Zukunft. Aber immerhin eine Vision, die auf große Resonanz sowie überwiegende Zustimmung in Fachkreisen und eine zunehmend großes Medienecho gestoßen ist. Vom grünen Ministerpräsidenten über den roten Wirtschaftsminister bis hin zur schwarzen Regierungschefin: alle sprachen und versprachen sich schon viel von Industrie 4.0.

Was hat Industrie 4.0 mit Nachhaltigkeit zu tun?

Aber wie kann man bewerten, wie nachhaltig eine zukünftige Entwicklung sein wird, wenn die konkrete Ausprägung dieser Entwicklung noch recht schwammig daherkommt? Das ist die wissenschaftliche Nuss, die wir im Rahmen des Projektes „Nachhaltigkeitsaspekte von Industrie 4.0“ am IASS Potsdam zu knacken haben. Dazu führten wir eine Online-Umfrage unter Industrie 4.0-Experten durch. Sie beantworteten uns Fragen zu unterschiedlichen Nachhaltigkeitsfacetten in einer zukünftigen Industrie 4.0-Welt: vom Bedarf an Mitarbeitern und Qualifikationen über die Veränderung der Logistik- und Produktionsprozesse sowie deren Ressourcen- und Energiebedarf bis hin zu den Besonderheiten und der Individualisierbarkeit zukünftiger Produkte.

Diese empirisch gewonnenen Erkenntnisse wollen wir nutzen, um daraus in den kommenden Monaten belastbare und möglichst konkrete Szenarien zu entwickeln, in denen beschrieben wird, wie die Industrie zukünftig Produkte entwickelt, fertigt und recycelt. Auch für diesen Prozess werden wir natürlich auf die Einschätzungen von Experten zurückgreifen. Abschließend planen wir, die entwickelten Szenarien hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zu bewerten. Nachhaltigkeitsparameter dürfte es zur Genüge geben - immerhin zeichnete die Industrie in Deutschland in den letzten Jahren ungefähr für 19% aller Treibhausgas-Emissionen[iii] sowie 29% des Energieverbrauchs[iv] verantwortlich, steuerte aber gleichzeitig 26% zur Bruttowertschöpfung[v] bei und sorgte für 19% aller Arbeitsstellen[vi].

Diese Zahlen lassen erahnen, dass es durchaus auch in den Händen der Ingenieure und ihrer Kollegen liegt, wie nachhaltig unsere gemeinsame Zukunft mittelfristig gestaltet sein wird.

Quellen:

[i] Plattform Industrie 4.0 (2013): Was Industrie 4.0 (für uns) ist;
URL: http://www.plattform-i40.de/was-industrie-40-f%C3%BCr-uns-ist
(abgerufen am 27.03.2015)

[ii] Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft (2013): Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort sichern – Umsetzungs-empfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0; Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0; Bundesministerium für Bildung und Forschung.

[iii] Eurostat: Greenhouse gas emissions by sector. Basisjahr 2012;
URL: http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=en&pcode=tsdcc210&plugin=1
(abgerufen am 13.01.2015)

[iv] Eurostat: Final energy consumption by sector. Basisjahr 2012;
URL: http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=en&pcode=tsdpc320&plugin=1

(abgerufen am 11.12.2014)

[v] Eurostat: National Accounts by 10 branches - aggregates at current prices. Basisjahr 2012;
URL: http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=nama_nace10_c&lang=en
(abgerufen am 04.02.2015)

[vi] Eurostat: National Accounts by 10 branches - employment data. Basisjahr 2012;
URL: http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=nama_nace10_e&lang=en
(abgerufen am 12.09.2014)

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