Overline: Verkehrswende
Headline: Stadtraum neu denken: Temporäre Umwandlung einer Berliner Kreuzung

Insbesondere in Städten ist öffentlicher Raum knapp. Mit der Verkehrswende kann die Verteilung öffentlichen Raums neu gedacht werden. Welche Möglichkeiten und Vorstellungen gibt es für eine Neuverteilung? Welche Wünsche haben Menschen in urbanen Räumen bezüglich ihrer Umgebung? Wie würden sie beispielsweise ihre direkte öffentliche Umgebung umgestalten, wenn sie dürften? Auf diese und andere Fragen möchten das IASS und das DLR Institut für Verkehrsforschung im Rahmen der Forschungsgruppe EXPERI mit einem Realexperiment in Berlin nun Antworten finden.

Die Straßenfläche an der Kreuzung Wundtstraße/Horstweg im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf wird temporär in einen Stadtplatz umgewandelt.
Die Straßenfläche an der Kreuzung Wundtstraße/Horstweg im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf wird temporär in einen Stadtplatz umgewandelt. IASS/Matthias Tang

Von Ende September bis zum 1. November 2020 wird unter wissenschaftlicher Begleitung des IASS eine Kreuzung im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf in einen Stadtplatz umgewandelt. Die Anwohner und Anwohnerinnen sowie Gewerbetreibende können die Straßenfläche an der Kreuzung Wundtstraße/ Horstweg neu denken und gestalten. Für die temporär reduzierten Auto-Parkplätze werden den direkten Anwohnern und Anwohnerinnen dabei alternative Parkmöglichkeiten auf einem Rewe-Parkplatz angeboten, der etwa acht Gehminuten vom „neuen“ Stadtplatz entfernt liegt.

Wem gehört die Stadt?

In Deutschland nehmen Autos aktuell vergleichsweise viel Platz im öffentlichen Raum ein, zum Bespiel erheblich mehr als Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs oder Fahrräder. Dabei werden Pkws im Durchschnitt ganze 23 Stunden am Tag lediglich geparkt und dominieren häufig das Straßenbild.

Für andere Zwecke des öffentlichen Lebens bleibt weniger Fläche übrig. Zahlen der Agora Verkehrswende zeigen zum Beispiel, dass alleine in Berlin zehnmal so viel öffentlicher Platz für Parkmöglichkeiten zur Verfügung steht wie für Spielplätze für Kinder. Gleichzeitig besitzen weniger als die Hälfte der Haushalte innerhalb des Berliner Stadtrings (der in etwa der Fläche innerhalb des S-Bahnrings entspricht) über einen Pkw und der Großteil der täglichen Wege (82 Prozent) wird zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt (Quelle: SrV 2013). Deswegen ist es wichtig zu fragen, wie öffentlicher Raum so gestaltet werden kann, dass er möglichst vielen Menschen zugutekommt und aktive Mobilität fördert.

Realexperiment „Temporärer Stadtplatz Klausenerplatz Kiez“

Mit dem Projekt „Temporärer Stadtplatz Klausenerplatz Kiez“ untersucht das Institut für Verkehrsforschung mit dem IASS, wie sich öffentlicher Raum transformieren lässt. Welchen Einfluss hat eine Umgestaltung aufs tägliche Mobilitätsverhalten der Menschen? So will das EXPERI-Team unter der Leitung von Prof. Sophia Becker herausfinden, ob die temporäre Öffnung der Berliner Kreuzung Horstweg/Wundtstraße für den Fuß- und Radverkehr etwa dazu führen könnte, dass Menschen sich vermehrt und lieber im öffentlichen Raum aufhalten als zuvor oder ob der geschaffene temporäre Stadtplatz die Nachbarschaft zu Begegnungen und Gesprächen anregt.

Methodisch werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hierfür mit Verkehrszählungen, quantitativen Befragungen und Interviews arbeiten. Außerdem wollen sie die Nachbarschaft mit partizipativen Formaten und gemeinsamen Gestaltungsaktivitäten dazu anregen, ihre eigenen Ideen und Gestaltungswünsche einzubringen und umzusetzen. So werden zum Beispiel Baumscheiben am Stadtplatz gemeinsam begrünt, neue Sitzgelegenheiten gebaut und in offenen Versammlungen mit Kindern und Erwachsenen weitere Gestaltungsideen diskutiert.

Das Umwandlungsprojekt wurde in Abstimmung mit dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf beschlossen. Die Straßenverkehrsbehörde hat eine sogenannte Anordnung nach § 45 StVO erteilt.  Das Berliner Realexperiment ist Teil des größeren Verbundprojekts „EXPERI – Die Verkehrswende als sozial-ökologisches Realexperiment“, mit dem erforscht werden soll, wie die sozial-ökologische Verkehrswende in Metropolregionen gelingt. Der Projektverbund EXPERI besteht aus der Technischen Universität Berlin, dem Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) Potsdam und dem DLR Institut für Verkehrsforschung. EXPERI wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA) gefördert. Weitere Informationen sind auf der Projektwebseite https://experi-mobilitaet.de/ und unter https://verkehrsforschung.dlr.de/de/projekte/realexperiment-temporaerer… zu finden.